Das Bourne-Vermächtnis
Umstände erkennen, in die Sie geraten sind. An diesen Schmerzen, die Sie erdulden, ist Vadas schuld. Es ist Vadas, der Sie in diese verzweifelte Lage gebracht hat. Auch Conklin war daran beteiligt, möchte ich wetten, aber Conklin ist tot.«
Molnar riss den Mund weit auf und stieß einen gellenden Schrei aus. Blutige schwarze Löcher gähnten, wo ihm Zähne langsam und schmerzvoll herausgebrochen worden waren.
»Ich möchte Ihnen versichern, dass ich meine Arbeit nur äußerst widerwillig fortsetze«, sagte Spalko sehr konzentriert. In diesem Stadium kam es entscheidend darauf an, dass Molnar trotz der ihm zugefügten Schmerzen verstand, was er sagte. »Ich bin nur das Werkzeug Ihrer eigenen Sturheit. Können Sie nicht begreifen, dass in Wirklichkeit Vadas für dies alles büßen müsste?«
Spalko hielt einen Augenblick inne. Seine Latexhandschuhe waren mit Blut bespritzt, und er atmete so schwer, als sei er fünf Treppen hinaufgerannt. Trotz des Vergnügens, das ihm die Folter bereitete, war sie harte Arbeit. Molnar begann zu wimmern. Das klang wie ein Stoßgebet.
»Was soll der Unsinn, László? Sie beten zu einem Gott, der nicht existiert und Sie daher nicht schützen oder Ihnen helfen kann. Wie die Russen sagen: ›Bete zu Gott, rudere an Land.‹« Aus Spalkos Lächeln sprach eine Andeutung von Vertraulichkeit zwischen Kameraden. »Und die Russen müssen’s wissen, eh? Ihre Geschichte ist mit Blut geschrieben. Erst die Zaren, dann die Apparatschiks
– als ob die Parteikader besser gewesen wären als jene lange Reihe von Despoten!
Ich sage Ihnen, László, die Russen mögen politisch völlig versagt haben, aber was Religion angeht, haben sie die richtige Haltung. Religion – jede Religion – ist ein Schwindel. Sie ist die große Illusion der Schwachen, der Ängstlichen, der Schafe dieser Welt, die nicht die Kraft besitzen, selbst zu führen, sondern nur geführt werden wollen. Auch wenn sie unweigerlich zur Schlachtbank geführt werden.« Spalko schüttelte traurig, weise den Kopf. »Nein, nein, die einzige Realität ist Macht, László.
Geld und Macht. Allein darauf kommt’s an, auf sonst nichts.«
Molnar hatte sich etwas entspannt, während Spalko ihm diesen Vortrag hielt, der darauf berechnet war, ihn durch seinen Plauderton und die Illusion von Kameradschaft an seinen Folterer zu binden. Jetzt riss er jedoch in nackter Panik die Augen auf, als Spalko von neuem begann. »Nur Sie selbst können sich helfen, László. Sagen Sie mir, was ich wissen will. Erzählen Sie mir, wo Vadas Felix Schiffer versteckt hat.«
»Aufhören!«, stöhnte Molnar. »Bitte aufhören!«
»Ich kann nicht aufhören, László. Verstehen Sie das doch endlich. Diese Situation wird jetzt allein von Ihnen kontrolliert.« Wie um seine Behauptung zu illustrieren, gebrauchte Spalko das Instrument erneut. »Nur Sie können dafür sorgen, dass ich aufhöre!«
Auf Molnars Gesicht erschien ein verwirrter Ausdruck, und er sah sich wild um, als erkenne er erst jetzt, was mit ihm geschah. Spalko studierte ihn aufmerksam – er wusste aus Erfahrung, was in ihm vorging. Diese Erscheinung war gegen Ende einer erfolgreichen Folter oft zu beobachten. Der Betreffende näherte sich dem Altar des Geständnisses nicht etwa Schritt für Schritt, sondern leistete vielmehr Widerstand, solange er nur konnte. Aber seine Willenskraft war irgendwann erschöpft. An einem geheimnisvollen Punkt erreichte sie wie ein gedehntes Gummiband ihr Limit, und wenn sie zurückschnappte, gewann eine neue Realität – die vom Inquisitor kunstvoll erschaffene Realität – die Oberhand.
»Ich weiß nicht …«
»Erzählen Sie’s mir«, sagte Spalko mit samtweicher Stimme, während seine Hand in dem Latexhandschuh
die schweißnasse Stirn seines Opfers tätschelte. »Erzählen Sie’s mir, dann ist alles vorbei, als würden Sie aus einem schlimmen Traum erwachen.«
Molnar verdrehte die Augen nach oben. »Versprechen Sie’s mir?«, fragte er wie ein kleines Kind.
»Haben Sie Vertrauen zu mir, László. Ich will, was auch Sie wollen – ein Ende Ihrer Qualen.«
Molnar weinte jetzt. Aus seinen Augen quollen große Tränen, die milchig und rosa wurden, als sie über sein Gesicht rollten. Und dann begann er hemmungslos zu schluchzen, wie er es seit seiner Kindheit nicht mehr getan hatte.
Spalko sagte nichts. Er wusste, dass sie das kritische Stadium erreicht hatten. Jetzt ging es um alles oder nichts: Molnar würde sich in den Abgrund stürzen, an den Spalko ihn
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