Das Brandhaus - Roman
dem hellroten Lippenstift. Die Frau war Oscar Leutnerwalls Schwester. Meine Güte, dann muss sie ja schon neunzig sein, dachte Andersson verblüfft. Ein Blick in einen großen Spiegel, in dem Fryxender ganz zu sehen war, verriet, dass dieser offenbar Ähnliches dachte. Ihr Händedruck war überraschend kräftig, als sie sie begrüßte. Anschließend deutete sie auf eine Schranktür und sagte:
»Legen Sie doch bitte hier in der Diele ab. Wenn Sie dann so gut sein wollen, ins Wohnzimmer zu kommen. Behalten Sie
Ihre Schuhe bitte an. Diese moderne Unart. Typisch schwedisch. Alle anderen Europäer behalten ihre Schuhe immer an.«
Sie hängten ihre nassen Mäntel in einen Schrank aus dunklem Edelholz, dessen Türen mit ovalen Spiegeln in vergoldeten Rahmen versehen waren. Dann folgten sie Astrid Leutnerwall in einen großen Salon, in dem drei Sitzgruppen aus Leder um rauchfarbene Glastische standen. Die Sofas waren weinrot und die Sessel schwarz. Unter den Tischen lagen Perserteppiche in hellen Farben. Am offenen Kamin standen zwei große Lehnstühle, die mit weinrotem Leder bezogen waren, dazwischen ein geschnitztes Tischchen mit zwei Kaffeetassen und zwei großen Cognacschwenkern. Das Feuer im Kamin ließ die Gefäße bernsteinfarben leuchten.
An den Wänden hingen große Ölgemälde. Zufrieden stellte Andersson fest, dass auf den meisten etwas zu erkennen war. Für hübsche Landschaften in hellen Farben hatte er etwas übrig. Ein diesiges Schimmern und ein diffuses Licht erfüllte diese Bilder. Neben dem großen, offenen Kamin hing ein Aktgemälde, eine Frau mit übergeschlagenen Beinen und hinter dem Kopf verschränkten Armen mit einer Kette aus gelben und schwarzen Perlen. Trotz der grellen Farben verbreitete das Gemälde eine große Ruhe.
Der Mann erhob sich aus dem großen Sessel vor dem Kamin. Behutsam und mit geübter Hand hob er die große weiße Angorakatze aus seinem Schoß auf seinen linken Arm. Die Katze fixierte die Besucher mit saphirblauen Augen. Oscar Leutnerwall wartete ab, bis die Beamten auf ihn zugetreten waren, dann streckte er die Rechte aus und begrüßte sie mit einem festen Händedruck. Die Katze schnurrte leise.
»Immer mit der Ruhe, Winston. Das sind Freunde - glaube ich zumindest.«
Er lächelte liebenswürdig. Andersson fiel auf, dass die Katze und ihr Besitzer dieselbe Augenfarbe hatten.
»Mir fiel auf, dass Sie die Gemälde betrachtet haben. Gefallen Sie Ihnen?«, fragte Oscar Leutnerwall.
Die Frage war an Andersson gerichtet, der ziemlich in Verlegenheit geriet. Mit Kunst kannte er sich nicht aus, aber diese großen Gemälde hatten ihm instinktiv gefallen.
»Doch … sie sind sehr schön. Sie machen einem gute Laune«, erwiderte er vorsichtig.
Oscar Leutnerwall strahlte. Seine hellblauen Augen funkelten, als er sagte:
»Genau. Sie machen einen froh. Sie imponieren einem und erfüllen einen mit Hochachtung. Die Impressionisten beherrschten ihr Handwerk wahrhaftig. Ich bin unerhört froh und dankbar darüber, diese Gemälde besitzen zu dürfen.«
»Sie beherrschten … sind die Künstler denn alle schon tot?«, wagte Andersson zu fragen.
Die blauen Augen funkelten erneut, und einen Augenblick lang hatte Andersson den Eindruck, als sei Leutnerwall belustigt.
»Ja, leider, aber ihre Kunst ist unsterblich«, erwiderte er freundlich.
Er war ebenso groß und fast ebenso mager wie Fryxender. Sein weißer Haarkranz war kurz geschnitten, was seine schöne Kopfform zur Geltung brachte. Er hatte ein zerfurchtes Gesicht, und seine Haut wies einzelne Altersflecken auf. Wie seine Schwester wirkte er zwanzig Jahre jünger. Die Geschwister waren sich nicht sonderlich ähnlich, aber eines hatten sie gemeinsam, ihren scharfen, hellblauen Blick. Astrid hatte eine kleine hübsche Nase, während das Profil ihres Bruders markanter war. Vielleicht hat sie sich ja die Nase operieren lassen, überlegte Andersson. Ihm war bereits aufgefallen, dass alle ihre Falten waagerecht waren und nach oben zeigten, wenn sie lächelte. Sie sah zwar bedeutend jünger aus, aber das hatte sie einiges gekostet. Außerdem hegte er den Verdacht, dass sie eine Perücke trug. Kein Mensch in diesem Alter hat solche Haare, konstatierte Andersson im Stillen und strich sich, ohne es selbst zu merken, über seinen kahlen Schädel.
Auch Oscar Leutnerwall war sehr gut gekleidet. Er trug ein dunkelbraunes Wolljackett und eine beige Hose. Sein Oberhemd
war ein paar Nuancen dunkler als die Hose. Schuhe und Gürtel waren
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