Das brennende Gewand
Die Hausbewohnerin half ihm mit kräftigen Armen auf, und gemeinsam legten sie die nasse, zitternde, um Atem ringende Aziza auf eine hölzerne Bank.
»Leon?«, krächzte sie.
»Unangekündigt, aber doch zur rechten Zeit.«
»Das Haus?«
»Es brennt. Schweigt, Euer Hals muss rau sein.«
»Decke. Bitte.«
»Hier, Frau Nachbarin«, sagte die Schustersfrau und legte eine raue Wolldecke über ihre halbnackte Besucherin. »Ich bringe Euch einen Becher Honigmilch. Das wird helfen.«
Aziza musste noch immer erbärmlich husten, aber in kleinen Schlückchen nahm sie das Getränk zu sich, wobei Leon sie stützte. Die Schusterin berichtete unterdessen von dem Geschehen auf der Gasse.
»Euer Dach steht in Flammen und ist eingestürzt. Aber die beiden Häuser daneben können sie wohl retten. Es sind jetzt auch die Wachen gekommen und reißen die Balken ein. Gott, arme Frau Nachbarin. Ihr habt alles verloren.«
»Habt Ihr ein Hemd für sie, Schusterin? Ich zahle es Euch auch.«
»Natürlich Herr, und niemand muss zahlen. Nicht bei der Frau Maurin. Die hat uns genug geholfen, seit sie hier wohnt.«
Von draußen klangen Schreie und Flüche herein, es prasselte und krachte, und rote Glut tanzte vor den Fenstern. Aziza lag wie betäubt auf der Bank, und Leon schauderte es in der rauchigen Luft. Doch seine Gedanken rasten. Das Feuer war im Dach ausgebrochen, und das war höchst ungewöhnlich. Meist war es Funkenflug aus den Kaminen, der ein Feuer auslöste, oder niedergebrannte Kerzen, umgefallene Lampen, deren Öl sich im Stroh auf dem Boden ergoss. In Azizas Zimmer aber hatte es nicht gebrannt, sondern über ihr im Gebälk. Der entsetzliche Verdacht keimte in ihm auf, dass Vorsatz dahinterstecken mochte. Zu gerne hätte er ihr Fragen gestellt, aber sie wirkte wie zerbrochen unter der kratzigen Decke. Selbst als die gutmütige Frau ihr mit seiner Hilfe den braunen Kittel überzog, ließ sie es sich wie eine Gliederpuppe gefallen. Die Nachbarin hatte auch eine fettige Salbe mitgebracht, die sie auf einige Brandblasen auf ihren Wangen und am Hals verteilte, wo die brennenden Haare die Haut versengt hatten.
Es dauerte bis zum Morgengrauen, bis die letzte Glut gewissenhaft erstickt war. Die brennenden Dachbalken waren ins Hausinnere gestürzt und hatten den oberen Boden in Brand gesetzt. Aber die Wassermassen hatten verhindert, dass das gesamte Innere von den Flammen verzehrt worden war. Doch verkohlte Holzbohlen, Wasser, Asche und Ruß hatten den unteren Bereich unbewohnbar gemacht. Auch die Nachbarhäuser hatten durch den Funkenflug einigen Schaden erlitten, waren aber weitgehend unversehrt geblieben. Einige Verletzungen hatte es gegeben, und ein paar Plünderer waren mit derben Knütteln vertrieben worden. Azizas Husten hatte sich einigermaßen beruhigt, und als Leon ihr vorschlug, sie zu den Beginen zu bringen, nickte sie dankbar.
44. Kapitel
»Almut, komm schnell! Almut!«
Almut ließ das Messer und den Korb fallen, den sie gerade mit taufeuchten Kräutern füllen wollte, und sprang auf. Mettel an der Pforte half einer schwankenden Frau aus einem Tragstuhl, und ein zerlumpter Mann stützte sie.
Es dauerte einen Moment, bis sie die beiden erkannte.
»Aziza, Schwester!« Sie legte ihr den Arm um die Hüfte und zog sie an sich. Heiser flüsterte Aziza: »Kannst du mir helfen?«
»Aber natürlich, Liebes. Was ist passiert?«
»Man hat ihr das Dach über dem Kopf angezündet«, knurrte Leon. Auch er sah grauenhaft aus. Sein Wams war in den Flammen geblieben, sein Hemd zerrissen und rußig, schwarze Bartstoppeln und Asche gaben seinem Gesicht das Aussehen eines Mohren.
»Wir werden uns um sie kümmern, Leon. Ihr aber sucht besser ein Badehaus auf, bevor Euch die Wachen als einen Dämonen aus der Hölle verhaften.« Sie schnüffelte vernehmlich. Der Rauchgeruch, der den beiden anhing, war recht penetrant.
»Ich werde zu gerne Euren Rat befolgen, Frau Almut. Aber später werde ich noch einmal vorsprechen, wenn es erlaubt ist.«
»Selbstverständlich, Leon. Aziza, schaffst du die wenigen Schritte zu Elsas Apotheke?«
»Ja.«
Doch sie stützte sich dabei auf Almuts Arm, und kleine Schauder durchfuhren sie immer wieder.
Elsa nahm sich ihrer sofort an, und Almut berichtete Magda kurz von dem Vorfall.
»Ich werde sie in mein Zimmer bringen. Sie ist viel zu verstört, um sich um irgendetwas zu kümmern.«
»Natürlich. Wie entsetzlich, das Heim zu verlieren.«
»Alles Geld, alle Kleider, all die schönen Dinge, die
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