Das brennende Gewand
Schuld am Tod des Schreinemakers. Ich war dabei, als Esteban mit ihm kämpfte, und - Gott sei mir gnädig - ich griff nicht ein. Ja, ich hätte ihn selbst getötet, wäre er mir nahe gekommen.«
»Er war ein gewissenloser Mörder, der zehn Jungfrauen kaltblütig umgebracht hat.«
»Dennoch. Ich habe Gewaltlosigkeit gelobt. Trotzdem habe ich gegen die Gebote verstoßen. Ich bin schuldig, ehrwürdiger Vater.«
Theodoricus bedachte das lange, dann drehte er sich mit grimmigem Blick zu dem schweigenden Mönch um.
»Knie nieder!«, herrschte er ihn an.
Pater Ivo gehorchte.
»Du hast Gehorsam gelobt.«
»Ja, Vater Abt.«
»Du wirst gehorsam sein und meinen Befehlen gehorchen!«
»Ja, Vater Abt.«
»Du wirst in deine Zelle gehen und zwei Tage dort bleiben!«
»Ja, Vater Abt.«
»Du wirst beten. Um Einsicht, um Erkenntnis und um Gnade!«
»Ja, Vater Abt.«
»Du wirst dabei bei klarem Verstand sein.«
»Ja, Vater Abt.«
»Also weder fasten noch dich kasteien!«
»Ja, Vater Abt.«
»Du bist entlassen!«
12. Kapitel
Magda hatte Verständnis für Almut, und als am Nachmittag eine der Mägde aus dem Hause vom Spiegel vorsprach und darum bat, die Frau Begine möge ihren Herrn aufsuchen, erteilte sie ihr nicht ohne Mitgefühl die Erlaubnis.
Meister Krudener und zwei jüngere Männer, ebenfalls Angehörige der Familie, waren anwesend, als sie die Stube betrat, in der Gauwin vom Spiegel von Polstern gestützt in seinem breiten Scherensessel saß. Er wirkte grau und erschöpft, und es mochte nicht nur sein zögerliches Herz sein, das seine Züge matt und trostlos wirken ließ.
Trotz des warmen Tages brannte ein großes Feuer im Kamin, und eine Pelzdecke lag über seinen Knien.
»Seid mir willkommen, Frau Almut«, begrüßte er sie dennoch mit einigermaßen fester Stimme. »Ich hörte, dass Ihr schon heute um die Mittagszeit vorsprechen wolltet.« Er winkte die Männer aus dem Raum, die sich gehorsam verabschiedeten.
»Ich war... ich bin außer mir vor Sorge, Herr vom Spiegel. Ich hoffte, Euren Sohn sprechen zu können.«
»Theo war bei mir. Ivo wird für die nächsten Tage in Klausur gehen, bis sich die Lage entwirrt hat. Es ist besser so, darin muss ich ihm zustimmen.«
Meister Krudener, der auf einem hochlehnigen Stuhl neben dem Kranken saß, nickte.
»Es kursieren wilde Gerüchte, und Ihr wisst, wie das Volk sie aufbläht. Ich fürchte weniger die Gewalt der städtischen Obrigkeit als die der aufgebrachten Menge. Auch ich bin bereits angefeindet worden. Aber das ist ja nichts Neues. Wir haben Euch rufen lassen, Frau Sophia, weil Ihr diejenige seid, die Ivos Vertrauen genießt, und wir erhoffen uns Aufklärung, vielleicht sogar Hilfe von Euch.«
»Aber ich...«
»Seid nicht bescheiden, Ihr könnt weit mehr für Ivo tun als wir beide zusammen. Hört aber zunächst, was Abt Theodoricus uns berichtet hat.«
So erfuhr Almut von den schweren Anschuldigungen, die durch Lenas Anklage ausgelöst worden waren. Ein wilder Zorn auf die Pastetenbäckerin kochte in ihr auf.
»Was denkt diese hirnlose Eselin sich nur dabei? Wenn sie glaubt, dass er ihren kostbaren Claas umgebracht hat, dann hätte sie schon vor Ostern Zeter und Mordio schreien müssen. Warum jetzt? Sie will sich doch nur wichtig machen!«
»Möglich. Oder sie hat gerade erst erfahren, was sich wirklich in den alten Gängen abgespielt hat.«
»Von wem, Meister Krudener? Von wem?«
»Frau Almut, Ihr seid eine Frau, die mit beiden Füßen fest auf dem Boden steht, Ihr habt keinerlei verklärten Blick auf die Tugenden und die Laster Eurer Mitmenschen. Dennoch bezweifle ich, dass Ihr die wirklichen Abgründe je kennengelernt habt. Abgründe in beiderlei Form - denen in den finsteren Kellern unter dieser Stadt und denen der bösen Seelen.«
»Was herrscht unter der Erde, Meister Krudener?«
»Der Abschaum, Kind«, erklärte Gauwin. »Die Entflohenen, die Rechtlosen, die Pestilenz unter den Menschen. Lichtscheues Getier, das sich vom Aas ernährt und zu jeder Schandtat bereit ist.«
»Es ist ein hervorragendes Versteck, Frau Almut, für alle, die etwas oder sich zu verbergen haben. Esteban kannte sich gut aus in jenen staubigen Gängen, denn er hat dort nach Gegenständen gesucht, die als Reliquien gelten konnten. Ein lohnenswertes Revier für ihn. Denn unsere Stadt ist auf den Trümmern einer sehr viel älteren aufgebaut. Er berichtete mir von den heimlichen Lagern der Ausgestoßenen, und mehr als einmal ist er nur knapp deren Angriffen entkommen.
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