Das brennende Gewand
das Pitter bei dem Toten gefunden hat.« Almut berichtete von Claras Bemühungen, einen Sinn in die wirre Buchstabenansammlung zu bekommen.
»Noch ein Hoffnungsschimmer«, urteilte Gauwin vom Spiegel. »Besser als irgendwelche trunkenen Hirngespinste.«
Wäre der alte Herr vom Spiegel nicht Ivos Vater gewesen, hätte sich Almut bemüßigt gefühlt, eine herbe Erwiderung zu machen, so aber bat sie die Hüterin ihrer Zunge, die sanftmütige Maria, mit großem Erfolg um Beistand. Die himmlische Mutter meinte es gut mit ihr und gab ihr einen weiteren hilfreichen Gedanken ein, der sich stattdessen über ihre Lippen stahl.
»Könnte es nicht sein, dass dieses Gesuch um Befreiung von den Gelübden irgendjemanden aus Ivos Vergangenheit auf den Plan gerufen hat, der ihm zu schaden sucht? Der Handel mit dem Erzbischof und den anderen Klerikalen war doch akzeptiert, die Summen gezahlt, die Dokumente gesiegelt, oder?«
Gauwin nickte.
»Und ganz plötzlich entscheidet man sich dagegen, Eurem Sohn Dispens zu erteilen.«
»Wenn Ihr recht habt, dann hegt jemand einen Groll gegen ihn, der um diese Angelegenheit weiß.«
»Jemand, der dort großen Einfluss hat.«
»Und gleichzeitig im Schlamm bei den Ratten wühlt? Recht weit hergeholt.«
»Mir will nichts Hilfreiches einfallen, Meister Krudener, Herr vom Spiegel. Wir werden Unterstützung brauchen, denn wenn Ihr gestattet, es zu bemerken, ein kranker Mann, ein übel beleumundeter Apotheker und eine schwache Begine sind keine sehr schlagkräftige Mannschaft.«
»Mein Enkel ist in der Stadt.«
Almut stutzte kurz, dann fiel ihr Ivos Geständnis wieder ein.
»Leon de Lambrays?«
»Eben der. Ich sehe, Ihr kennt meinen Sohn tatsächlich sehr gut. Ich hoffe, Ihr tragt ihm seine Torheit nicht nach.«
»Nein, doch ich fürchte, hier werden wir wenig Unterstützung finden. Es scheint, Vater und Sohn haben sich im vergangenen Jahr zerstritten.«
»Ivo sprach davon, und er wollte den Jungen aufsuchen, um das zu bereinigen. Dazu ist er nun nicht in der Lage. Aber ich werde ihm eine Botschaft senden und sehen, ob ich etwas ausrichten kann. Seht zu, Georg, dass mein Herz bis dahin durchhält.«
»Ihr werdet es nicht wagen, diese Welt zu verlassen, bevor nicht Euer Haus gerichtet ist. Aber für heute habt Ihr Euch genug angestrengt.«
»Ja, Herr vom Spiegel, das habt Ihr. Ich danke Euch, dass ich mit Euch sprechen durfte. Ich werde alles tun, was ich kann, um das Rätsel zu lösen.«
»Ich weiß, mein Kind. Geht in Frieden.«
Aber Almuts Gedanken waren von Frieden weit entfernt. Das Bild von Leon de Lambrays stand viel zu deutlich vor ihren Augen. Ein schöner, schwarzhaariger Mann, dessen Gesicht von der Sonne dunkel gebrannt war. Aziza war mit einem solchen Mann gesehen worden, beim Adlerwirt war ebenfalls ein vornehmer, schwarzhaariger Herr aufgetaucht.
Der Nachmittag war jedoch in den Abend übergegangen, und um diese Zeit erschien es ihr nicht mehr angebracht, das von zahlreichen Gästen besuchte Wirtshaus aufzusuchen. Auch ihre Schwester wollte sie lieber am kommenden Tag befragen, denn zuerst galt es, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen.
13. Kapitel
Auf dem Turm der Makkabäerkirche saß ein Falke und ließ seine Augen über sein Jagdrevier schweifen. Die Gruppe schwarzgewandeter Nonnen, die sich zur Messe unter ihm versammelte, beachtete er nicht. Sein Sinn stand ausschließlich nach Beute, denn in seinem Nistplatz in einer Mauernische warteten drei hungrige Nachkommen auf Nahrung. Es gab genug Futter für sie, denn das Frühjahr war die Zeit der hilflosen Jungtiere, die, noch unbedarft und sich den Gefahren des rauen Lebens nicht bewusst, ihre ersten Erkundungen außerhalb der mütterlichen Obhut vornahmen. In den Gärten und Feldern rund um die Häuser vom Eigelstein wimmelte es von Mäusen, jungen Kaninchen, Feldhamstern, kleinen Zieseln und Ratten. Doch das, was er jetzt erspähte, war ein unvorsichtiges Katzenkind. Auch wenn das getigerte Fell ihm Schutz bot und es beinahe unsichtbar machte, dem scharfen Blick des Greifvogels entging es nicht. Er erhob sich in die Lüfte und flog die kurze Strecke über das Feld, blieb mit schnellen Rüttelbewegungen über seinem gewählten Opfer stehen. Als er die Position für einen Zugriff günstig fand, stürzte er sich im freien Fall auf das wagemutige Jungtier. Seine Krallen packten das aufschreiende Geschöpf, und er schwang sich wieder auf, um die Beute seinem eigenen Nachwuchs zu bringen.
Zwei Raben auf dem Feld hatten
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