Das brennende Gewand
sie die Schultern. Arbeit half, und Clara hatte ebenfalls einen scharfen Verstand. Sie griff in den Korb, um eine der fleischigen Blattrosetten herauszunehmen.
Ihre Hand traf auf etwas Weiches, Pelziges.
Fassungslos sah sie den kleinen getigerten Körper an. Es dauerte eine Weile, bis sie das Entsetzen ergriff. Aber dann war es vollkommen. Das winzige Kätzchen lag schlaff in den Blättern, aus dem Mäulchen war ein kleiner Blutstropfen gequollen.
»Nein!«, stöhnte sie und fuhr mit dem Finger über den kühlen Körper. »Nein!« Am Morgen noch hatte sie das Tierchen an ihrer Schulter geherzt, sein seidiges Fell gestreichelt, die zarten Knochen darunter gespürt, seinen warmen, lebendigen Körper in ihren Händen gehalten. Was hatte Gertrud neulich gemeint - sie solle es nicht zu lange halten, sonst würde es zu sehr schmerzen.
Wut mischte sich in ihr Entsetzen und die Trauer. Mit Sturmesschritten fegte sie über den Hof und riss die Tür zum Küchenhaus auf, um die Köchin zur Rede zu stellen.
Gertrud sah überrascht vom Teigkneten auf, und Almut machte den Mund auf, um ihr ihre Anschuldigungen ins Gesicht zu speien. Da fiel ihr Blick auf den irdenen Teller am Boden. Drei steckendünne Schwänzchen ragten stracks nach oben, während ihre Besitzer bis über die Nasen in der Sahne steckten und das Schlabbern übten.
»Maria, gütige Himmelsmutter, sie leben!«, entfuhr es ihr.
»Unfug treiben sie, schlimmer als ein Haufen Flöhe«, grollte Gertrud. »Die Mutter hielt es für angebracht, auf die Jagd zu gehen, und hat mir ihre Pflichten abgetreten. Als hätte ich nichts Besseres zu tun. Was siehst du so verstört aus, Almut?«
»Ich dachte... Ich glaubte...«
»Setz dich. Was hast du geglaubt?«
»Dass das Getigerte tot ist und du es mir in mein Zimmer gelegt hättest.«
»Bist du toll geworden?«, begehrte die Köchin auf und stemmte die mehligen Fäuste in die Hüften. »Du bist der Meinung, dass ich zu einer solchen Grausamkeit fähig wäre?«
»Nein. Nein, das bist du nicht. Aber jemand hat eine tote Katze in den Korb mit Dachwurz gelegt. Eine getigerte.«
»Wessen Korb?«
»Elsa hat ihn auf mein Zimmer gebracht.«
»Elsa mag ihre Schrullen haben, aber dazu ist sie nicht fähig. Zeig mir das Tierchen!«
Gertrud begleitete Almut zu ihrem Zimmer, und schaute in den Korb. Nur die Blätter der Dachwurz befanden sich darin.
»Aber es war da. Ich habe es berührt. Gertrud, das war kein Trugbild.«
»Mhm. Du hast im Augenblick viele Sorgen, Almut. Und das Dumme an Trugbildern ist, dass man glaubt, sie seien Wirklichkeit.«
»Aber ich habe... Ja. Vielleicht. Ich bin überdreht. Entschuldige, Gertrud.«
»Du hast dein Herz an die Kleinen gehängt, das habe ich doch gemerkt. Sie sind so hilflos, ihr junges Leben so zerbrechlich. Wie das aller Kinder. Deine Angst um die Zukunft mag dir das grause Bild vorgegaukelt haben.«
»Mag sein.«
»Almut, die Kätzchen sind in meiner Küche gut aufgehoben. Ich lasse es nicht zu, dass sie draußen herumstreunen, solange sie noch nicht in der Lage sind, sich zu behaupten.«
»Ich weiß. Du hängst genauso an ihnen und Teufelchen.«
»Richtig. Nun kümmere dich darum, dass unsere wehleidige Clara einen frischen Umschlag bekommt, denn dazu ist dieses komische Zeug ja wohl da. Und stell gefälligst die Rosen in einen Krug Wasser.«
Die gewohnte Ruppigkeit brachte Almut wieder auf den Boden der Tatsachen zurück, und sie nahm den Korb auf, um ihre Pflicht zu erfüllen.
15. Kapitel
Fr 16.5.
»Sei gegrüßt, du Schmerzensmutter! Du bist, ohne zu sterben, die Königin der Märtyrer geworden. Maria, du Schmerzensreiche, bitte für uns. Deine Seele wurde vom Schwert durchdrungen, Schmerzhafte Mutter, nimm von der Welt die Angst...«
In der Dämmerung lag Almut auf den Knien und schaute zu der kleinen Flamme auf, die vor der goldenen Marienstatue reglos brannte. Maria aber blickte auf ihre Tochter und füllte ihr Herz mit Vertrauen und die Luft mit dem süßen Duft von Rosen und Ginster.
»Ich habe ihn verloren, gütige Mutter, als Mann und Geliebten. Doch damit will ich mich abfinden, kann ich doch nur seine Seele retten. Ich fühle, himmlische Königin, dass ihn die Vorwürfe und Anklagen vernichten, denn er wird sich für schuldig halten, auch wenn er keine der Taten begangen hat, die man ihm vorwirft. Man hat ihm Erlösung verweigert und weitere Fesseln über ihn geworfen. Gleich wie Clara hat man seinen Geist geknechtet, wie sie hat er sich eine Buße auferlegt.
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