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Das brennende Gewand

Das brennende Gewand

Titel: Das brennende Gewand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Er richtet Mauern um sich auf und isst bittere Kräuter, genau wie Rigmundis es gesehen hat. Heilige Maria, stehe du ihm bei. Ich kann es nicht, er lässt es nicht zu.«
    Das Flämmchen bewegte sich kaum merklich, aber das Licht warf einen neuen Schatten über Mariens Antlitz, und Almut vermeinte Missbilligung darin zu erkennen.
    »Herrin des Himmels, du hältst mich für kleinmütig?« Seufzend bettete Almut ihren Kopf auf die gefalteten Hände. »Ja, ich bin mutlos, Maria. Ich weiß nicht, wo ich Hilfe finden soll. Wie kann ich den Mann finden, der hinter all dem Bösen steckt? Wer hat diesen verd...« Ein Fünkchen erhob sich aus der Flamme. »Verzeih … also diesen elenden Vergolder umgebracht? Denn ich glaube nicht, dass es ein Unfall war. So blöd ist auch der größte Suffbruder nicht, dass er sich kopfüber in einen Gärkessel hängt. Es wird schon jemand dafür gesorgt haben, dass er mit dem Kopf im Bier blieb. Ist es der Schwarzhaarige, ist es Leon, sein leiblicher Sohn? War ihr Zerwürfnis so groß, dass er auf solch hinterhältige Weise auf Rache sinnt?« Sie schüttelte sich. »Noch will ich es nicht glauben. Nein, ich will es nicht glauben, auch wenn manches dafür spricht, dass er eine Rolle in dieser Verschwörung spielt. Aber unter Umständen ist auch er nur ein Opfer von Verleumdung und Verführung.« Sie hielt inne und kehrte zurück zu dem Toten. »Ertrinken muss ein schlimmer Tod sein. Mutter der Barmherzigkeit, beschütze uns in der Stunde unseres Todes.« Sie sah wieder hoch und fand Maria nachdenklich. »Übrigens - der Kurier des Erzbischofs ist auch ertrunken. In einer flachen Pfütze, sagt man. Wahrscheinlich vom Pferd gefallen und mit dem Gesicht zuerst darin gelandet. Soll ich das glauben, Hüterin der Gerechtigkeit? Oder haben Wegelagerer ihn zuvor umgebracht und in der Pfütze liegen lassen? Und - Mist, Maria! Wieso hat Ivo ausgerechnet sein Pferd gekauft? Wer hat das Pferd eingefangen und zum Adler gebracht? Wer, verflu …, schon gut, schon gut. Wer hat gewusst, dass Ivo ein Pferd erwerben und dazu den Schmied aufsuchen wollte? Da ist noch so ein Fädchen, das es zu verknüpfen gilt. Es muss eine Person geben, die seine Schritte heimlich, aber auf das Genaueste verfolgt hat. Wenn ich nur dieses Pferdeknechts habhaft werden könnte. Ihn, selige Maria, habe ich in einem sehr starken Verdacht. Ich werde Gero von Bachem eine Nachricht senden. Ja, er soll Leumund geben. Wenn er diesen Taugenichts überhaupt kennt!«
    Zufrieden, wenigstens eine Entscheidung getroffen zu haben, ließ Almut ihren Blick wandern. Noch immer regnete es sacht, und dankbar nahmen die reifenden Pflanzen auf den Feldern das Nass auf, um zu keimen, zu sprießen, zu blühen und Frucht zu bilden. Es war die Zeit des Wachstums, des Neubeginns. Die Schafe hatten gelammt, Kälbchen standen auf den Weiden, Fohlen staksten neben ihren Müttern einher, Jungvögel warfen die Eierschalen ab und sperrten hungrig die Schnäbel auf. Bei diesem Gedanken erstand wieder das tote Kätzchen vor Almuts Augen, und Wehmut umspann ihr Herz. Es war nicht nur dieses hilflose Tier, Einbildung oder Wirklichkeit, das diese namenlose Trauer auslöste. Dreimal hatte sie während ihrer unglücklichsten Zeit Kinder verloren. Doch schlimmer als die Schläge, die sie dafür erhalten hatte, war das noch immer andauernde Gefühl der Unfähigkeit. Sie hatte sich so sehr Kinder gewünscht. Nicht um Erben zu haben, wie ihr Gatte es verlangte, sondern um sie aufwachsen und sich entwickeln zu sehen, um sie zu lehren und zu lieben, zu leiten und zu lenken und sie als aufrechte Menschen ihren Platz in der Gemeinschaft finden zu lassen.
    »Es ist nicht der Wille des Herrn«, murmelte sie, und das Flämmchen vor Maria schwankte leicht in einem Luftzug. »Du trägst den Sohn auf deinem Schoß, dessen Tod auch dir das Herz gebrochen hat. Womit soll ich dich trösten, Tochter Sion? Womit nur soll ich dich vergleichen, o Tochter Jerusalems? So groß wie das Meer ist dein Schmerz, wer wird dir helfen können?«
    Warm wie eine Träne spürte sie die kleine Perle unter ihrem Gewand und zupfte an dem Kettchen, um sie hervorzuholen und zu umfassen. »Du hast deinen Frieden gefunden, dein Leid auf dich genommen, dein weites Herz für uns geöffnet. Tröste uns, gütige Mutter, in jeder Bedrängnis und Not!«
    Maria, die den Kummer ihrer demütigen Tochter besser als jeder andere aus den himmlischen Gefilden kannte, weckte ihre Botin, die kleine Honigbiene auf, die sich

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