Das brennende Gewand
den Gästen so viel wie möglich über diesen Roderich oder seinen Diener herauszufinden. Roderich hat um die Osterzeit dort ein Zimmer gemietet.«
»Gut. Mach ich.«
»So, nun mein Plan. Ich habe, als Pater Ivo eingemauert wurde, als Maurergeselle die Steine gesetzt. Die Klause selbst ist stabil gebaut, aber bei der Öffnung, die ganz zum Schluss verschlossen wurde, habe ich einen Mörtel aus Wasser und Sand verwendet. Man kann also die Steine sehr leicht herausnehmen.«
»Gewitzt seid Ihr aber schon, Frau Almut!« Bewunderung schwang in Pitters Worten mit. Sie hatten das Ufer erreicht und setzten sich auf die Böschung. Der Strom führte wenig Wasser, der Mai war trocken gewesen, und im hellen Sand hatte sich Treibholz angesammelt. Schwerbeladene Schiffe zogen gemächlich vorbei, ein Floß trieb flussabwärts, Kähne und Nachen kreuzten ihre Fahrt zum anderen Ufer, und stromauf drehten sich langsam die Räder der Getreidemühlen, die mitten im Rhein verankert waren. Schwalben haschten in waghalsigen Sturzflügen nach Mücken, Möwen und Enten ließen sich auf den glitzernden Wellen schaukeln.
»Ja, die Steine kann man leicht entfernen, schwerer wird es mit dem Insassen«, seufzte Almut.
»Aber warum denn? Es muss doch furchtbar sein, in so einer engen Kammer eingeschlossen zu sein!«
»Er will es so. Aber wenn er es wahr macht und fastet, wird er über kurz oder lang zu schwach sein, sich zu wehren. Ich muss inzwischen einen Plan machen, wie wir ihn ungesehen dort herausbekommen und zu seinem Vater bringen können.«
»Nachts - es geht nur in der Nacht, denke ich.«
»Richtig. Und zwar dann, wenn niemand mehr durch die Gassen streift. Ich brauche Wasser und Mörtel, um die Klause danach wieder zu verschließen, und das braucht seine Zeit.«
»Und ein, zwei Männer, die den Pater in das Haus derer vom Spiegel tragen.«
Almut nickte. »Und dort jemanden, der uns aufmacht und ihm hilft, wieder zu Kräften zu kommen.«
»Darum solltet Ihr Euch kümmern, Frau Almut. Ich und meine Männer werden mal die Gegend heute Nacht auskundschaften. Der Edelknabe hier wird sich im Adler einen ansaufen und die Ohren gespitzt halten.«
»Ich saufe nicht.«
»Nein? Euer Hoffärtigkeit nippt nur wie ein Vögelein? Warte ab, bis du das Bier von Frau Franziska zu kosten bekommst.«
»Bier?« Ein ganzes Fass Abscheu schwang in diesem einzelnen Wort aus Fredegars Mund mit, und Almut musste lachen.
»Ich trinke auch gewürzten Wein lieber, Fredegar, aber die Adlerwirtin ist berühmt für ihr Bier. Versuch es wenigstens mal. Aber nicht zu viel. Manchmal verwendet sie eine etwas zu wirkungsvolle Grut.«
Nachdenklich rieb Pitter seine Nase.
»Die könnte nützlich sein, wenn man jemanden zum Plaudern bringen will.«
Das leuchtete Almut umgehend ein, sie sah aber auch die Gefahr darin. Dennoch - es war eine Überlegung wert.
»Du kannst sie bitten, einen Kessel Bilsenbier zu brauen, Pitter. Aber seid gewarnt.« Sie erhob sich und schüttelte den trockenen Rheinsand aus den Falten ihres grauen Gewandes. Der Klang der Glocken schwebte über die Stadtmauer und kündete die neunte Stunde des Tages. »Ich muss ins Kloster. Begleitet mich einer der Herren?«
Beide sprangen auf und boten ihr, ein jeder auf seine eigene unnachahmliche Weise, ihre Dienste an.
»Klar!«
»Es ist mir eine Ehre, Frau Almut, Euch schützendes Geleit zu geben.«
»Schwaadlappe!«
25. Kapitel
»Ich mache mir bitterste Vorwürfe, Frau Almut. Bitterste. Es war meine Eitelkeit, die mich dazu bewogen hat, den schlitzohrigen Vergolder zu beauftragen. Ich wollte unbedingt, dass zu Pfingsten die Apostelgruppe, die Bertram geschnitzt hat, in ihrem goldenen Glanz erstrahlt. Das tut sie jetzt, aber zu welchem Preis!«
Der Abt lief ruhelos in seiner Stube auf und ab, während Almut, still die Hände im Schoß gefaltet, auf der gepolsterten Bank saß und seinen verzweifelten Selbstanklagen zuhörte. Sie fragte sich, warum Leon de Lambrays noch nicht aufgetaucht war. Sie hatten doch am Vortag verabredet, gemeinsam den Abt aufzusuchen. Aber möglicherweise war er aufgehalten worden. Darum hörte sie zunächst Theodoricus alleine zu, der nun über Ivo vom Spiegel sprach.
»Er hüllt sich in abgrundtiefes Schweigen, rührt das Brot nicht an, das wir ihm auf den Sims legen, und trinkt nur ein wenig von dem Wasser. Ich weiß einfach nicht weiter, Frau Almut.«
»Er hat schon häufiger gefastet, ehrwürdiger Vater. Einige Tage wird er noch aushalten«, murmelte sie.
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