Das brennende Gewand
Oder, anders ausgedrückt, bei einem Scharlatan. Da ich, liebe jungen Freunde, keinen Umgang mit dererlei Schwindlern pflege, kann ich Euch nicht weiterhelfen.«
»Ihr habt uns schon geholfen. Meister Goldfarb. Denn jetzt wissen wir wenigstens, in welchen Kreisen wir zu suchen haben.«
»Habt Acht auf Eure Schritte in jener Gesellschaft, Frau Almut. Menschen dieses Schlages verfügen über die Kraft der Illusion, die Arglose verzaubert, Einfältige gefügig macht, Haltlose in ihren Bann zieht und Schwache in den Irrsinn treibt.«
Mit einem Schauder in der Stimme zitierte Almut: »›Sie stürzen die trauernde Mutter in den Abgrund des Wahnsinns. Sie verderben den Schwachen mit ihrer Wollust und verführen den Verstoßenen, ihren Dämonen zu dienen.‹«
»So kann man es auch ausdrücken. Welch Ursprungs sind diese düsteren Worte, Frau Almut?«
»Die Warnung unserer Seherin.«
»Dann sucht Ihr nicht nur einen Mann, Frau Almut. Vielleicht müsst Ihr noch ganz andere fürchten als ihn. Seid auf der Hut. Seid wachsam. Auch Ihr, junger Löwe.«
Sie verabschiedeten sich von Rebbe Goldfarb und wanderten gedankenversunken Richtung Eigelstein. Erst vor dem Tor sprach Leon de Lambrays wieder.
»Ich werde mich nach diesem Derich erkundigen.«
»Ich werde Abt Theodoricus aufsuchen. Kommt morgen nach der Non zum Kloster Groß Sankt Martin.«
»Warum zum Abt, Frau Almut? Was kann er noch tun?«
»Mehr als Ihr glaubt. Er ist ein sehr guter Freund Eures Vaters.«
»Dann will ich ihn ebenfalls aufsuchen.« Doch auf einmal wirkte der wohlgestalte, mannhafte Leon ein wenig verlegen. Almut sah mit leicht schief gelegtem Kopf zu ihm auf, und in ihren Augen schimmerte ein verstehendes Lächeln auf.
»Meine Schwester wird nichts dagegen haben, Leon, wenn Ihr ihr einen freundschaftlichen Besuch abstattet.«
»Frau Almut, Ihr seid mir unheimlich.«
»Weil ich in Eurem Gesicht lesen kann? Nun, das habe ich an Eurem Vater lange geübt.«
Er lachte und verbeugte sich galant vor ihr, als sie das Tor zum Beginenhof öffnete.
24. Kapitel
Die lerneifrigen Jüngferchen sangen gemeinsam ein erbauliches Lied, und ihre nicht immer ganz reinen Töne schallten durch die geöffneten Läden der Schulstube. Zwei Mägde schrubbten am Brunnen Töpfe, Kessel und Pfannen, Elsa und Gertrud ernteten Kräuter in den Beeten, eine jede die, die sie um ihrer Profession willen benötigten. Die mäkelige Ziege hätte es ihnen gerne gleichgetan, war aber an einem kurzen Strick angebunden und musste ins Gras beißen. Die träge Sau ließ sich nicht blicken, sie hatte sich mit den Ferkeln in den Stall zurückgezogen. Teufelchen patrouillierte auf der Mauer und hielt nach unvorsichtigen Jungvögeln Ausschau, und oben am Himmel kreiste ein Falke. Magda, auf ihren Stock gestützt, trat vor die Tür des Haupthauses und betrachtete das rege Leben in ihrem Reich. Dann trat sie zu Almut, die vor der Kapelle stand und darüber sinnierte, wen sie überreden konnte, ein kleines Glöckchen zu stiften.
»Du bist viel unterwegs in den letzten Tagen.«
»Ja, Magda. Ich weiß. Aber was soll ich machen? Ich kann doch nicht die Hände in den Schoß legen und dem Schicksal seinen Lauf lassen.«
»Nein, das ist nicht deine Art. Aber kannst du denn etwas tun?«
»Ich tappe an vielen Stellen noch im Dunkeln, Magda, aber eines ist inzwischen wirklich klar - es gibt jemanden, der hinter der Sache steckt. Wir kennen jetzt seinen Namen und wissen, wie er aussieht. Er ist ein skrupelloser Mensch und vermutlich ein Mörder. Was wir nicht wissen, ist, warum er Ivo vom Spiegel vernichten will und wo er sich derzeit aufhält. Aber beides«, knurrte sie mit zusammengebissenen Zähnen, »kriegen wir noch heraus.«
»Du begibst dich in Gefahr, Almut«, mahnte die Meisterin.
»Richtig. Ich begebe mich in Gefahr. Meine Schwester hat sich auch hineinbegeben, und Ivo steckt ganz tief darin. Wenn ich nichts tue, um ihn zu retten, Magda, wird er sterben. Und dann ist mein Leben nichts mehr wert. Also - was habe ich zu verlieren?«
»Nichts, wie es scheint. Der junge Lambrays steht dir zur Seite?«
»Er und manch anderer.«
»Wenn du meine Hilfe brauchst...«
»Danke. Magda. Du gibst mir ein ruhiges Heim, einen Ort, an dem ich mich besinnen kann und Trost finde. Das hast du von Beginn an getan.«
»Jeder Kämpfer braucht von Zeit zu Zeit einen Ort zur Einkehr und Besinnung. Und jeden Kämpfer, scheint’s, zieht es irgendwann wieder hinaus, um nach höheren Zielen zu
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