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Das brennende Gewand

Das brennende Gewand

Titel: Das brennende Gewand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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für den sie schon bald die Beine spreizen wird. Noch bevor du hier vermodert bist und dein faulender Leib zum Himmel stinkt, wird sie ihn auf ihr Lager gelockt haben. Wir lassen sie beobachten, Ivo, und wir berichten dir getreulich, wie sie es mit ihm treibt.«
    Es kamen noch mehr Drohungen, manche beinahe albern, andere von einer so perfiden Bösartigkeit, dass er sich nur mit aller Gewalt daran hindern konnte, aufzuspringen und mit den bloßen Fäusten die Wand einzuschlagen.
    Nun war der Quälgeist fort, und die nächtliche Stille war eingekehrt. Doch die Pein war geblieben, trotz Psalmen und Litaneien, trotz inbrünstigem Gebet an Maria, die Krone des Himmels. Er hatte sich selbst verflucht, weil das unablässige Psalmodieren seinen Mund hatte so trocken werden lassen, dass er dem Becher Wasser nicht widerstehen konnte. Warum kam die gnädige Dunkelheit nicht über ihn, warum konnte er nicht versinken in jene schmerzlose Nacht vor dem endgültigen Schlaf?
    Noch nicht einmal der gewöhnliche Schlummer war ihm vergönnt, denn gerade machten sich irgendwelche Lümmel vor der Klause zu schaffen. Johlend zogen sie um die Kirche, warfen mit Steinen nach seinem Gehäus, und erst als die Nachtwächter einschritten, wurde es wieder ruhiger.
    » O clemens, o pia, o dulcis Virgo Maria. Ora pro nobis, sancta Dei Genetrix «, murmelte er, und hob seine Augen bittend zu der goldenen Gestalt auf seinem schlichten Altar. »Du hättest nicht zu mir kommen dürfen, Maria, milde, gütige Gottesgebärerin. Sie hätte dich behalten müssen, denn in den Stürmen des Lebens hast du ihr Halt gegeben. Denn Stürme kommen auf sie zu. Gib ihr Halt, Maria, Schild der Streitenden. Schütze sie und lasse sie Zuflucht finden. Hülle sie in deinen Mantel, Maria, und berge sie unter deiner mütterlichen Obhut. Und wenn sie einen anderen Mann gefunden hat, dann segne diese Verbindung...«
    Sein Murmeln wurde leiser, sein Körper sackte vornüber, und in seiner Schwäche verließ seine Seele ihren Körper und wanderte über verschlungene Pfade zurück in die Vergangenheit. Düstere Kreuzgänge durchquerte sie, in kalten Kathedralen kauerte sie unter Kreuzen, kniete blutend in Krypten, klagte in klammen Kerkern und dumpfen Kellern. Sie bettete sich auf fauliges Stroh und vermodernde Lumpen, Verfall stank aus feuchten Gemäuern. Eisenringe umklammerten sie, Geißeln peitschten auf sie nieder, und die rote Glut, angefacht von Dämonen, erwartete sie, um sie zu verzehren. In den Schatten lag sie gebunden, hilflos, ohne Hoffnung auf Auferstehung. Doch als der gähnende Schlund der schwarzen Verzweiflung sich anschickte, sie zu verschlingen, erfüllte ein leises Klagen die Dunkelheit. Ein zartes Locken und Rufen, das die Verlorenen ans Licht zu holen verlangte. Ein Singen und Klingen, ein feiner Strang aus Tönen, der sich zu einem melodischen Flechtwerk verdichtete, umspann die gefolterte Seele und zog sie hinan. Die Töne betteten sie auf das weiche Gras unter dicht belaubten Bäumen, Tau netzte ihre Wunden und weiches Sonnenlicht badete ihre Verletzungen in heilender Wärme. Und als sie sich gestärkt fühlte, wanderte sie in die Helligkeit. Sie zog über die grünen Hügel, erheiterte sich in knorrigen Olivenhainen, atmete den bittersüßen Duft der Orangen, fand Erquickung an klaren Quellen und gab dem Drängen nach, durch die golden schimmernden Mauern der Stadt zu ziehen, um dort in das Herz der Gelehrsamkeit einzudringen.
    Hier fand sie Frieden.
    Und Erinnerung.
    Als sie zurückkehrte in den Körper, den sie verlassen hatte, nahm sie ein Stück davon mit.
     
    Ivo vom Spiegel erwachte in seiner Klause mit schmerzenden Gliedern und dem Wissen, dass ihn im Traum eine Botschaft erreicht hatte. Aber er konnte sie nicht fassen, so sehr er sich auch bemühte. Steif und ungelenk stieg er von seinem ungemütlichen Lager und schaute zu der schmalen Fensteröffnung. Wie jeden Tag lag neben dem Wasserbecher das Brot. Aber heute leuchtete zusätzlich eine Rosenblüte auf dem Sims. Und ein eifriges Honigbienchen landete gerade jetzt in der blutroten Wiege.
    Wie üblich zerbröselte er das Brot und warf es für die Spatzen auf das Pflaster. Das Wasser - nun, es konnte nicht schaden, selbst das härteste Fasten erlaubte Wasser - trank er durstig aus.
    Die Blume? Er hätte sie gerne nach draußen geworfen, aber solange das Bienchen sich noch darin vergnügte, hinderte eine seltsame Scheu ihn daran.

27. Kapitel
    Die braune Kutte hing wie an einer Vogelscheuche

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