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Das brennende Gewand

Das brennende Gewand

Titel: Das brennende Gewand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Mönch erzählt?«
    »Geht weg.« Sie hustete herzzerreißend, und blutiger Schaum quoll über ihre Lippen.
    »Bertram, lass sie«, flüsterte Lodewig. Und dann tat der pummelige Novize etwas, das den beiden anderen die Haare zu Berge stehen ließ. Er trat nämlich näher zu der Frau, setzte sich zu ihr und nahm ihre verunstalteten Hände in die seinen.
    »Was immer du getan hast, Weib, es wird dir vergeben. Dein Weg war lang und du hast gelitten. Doch der Herr ist auch für dich gestorben und vergibt dir deine Sünden.«
    Die blutunterlaufenen Augen starrten ihn an.
    »Glaub ich nicht«, röchelte sie.
    »Du brauchst es nicht zu glauben. Ich werde für dich beten. Nenn mir deinen Namen.«
    »Marie.«
    Leise und mit beinahe zärtlicher Stimme betete Lodewig für die Sterbende, und allmählich glätteten sich die zerstörten Züge.
    »Wo du hingehst, wird dir die Sonne scheinen und deine Wunden werden heilen, Marie. Überantworte deine Seele den Händen des Erlösers und vertraue auf seine Liebe.« Er sprach den Segen und zeichnete das Kreuz über sie.
    Dann erhob er sich aus dem Schlamm des Ufers und ging schweigend, die Hände in den Kuttenärmeln, davon.
    Bertram und Pitter folgten ihm, und erst als sie auf der Höhe von Groß Sankt Martin waren, sprach Lodewig wieder.
    »Ich werde es beichten müssen. Es war entsetzlich anmaßend.«
    »Es war verdammt mutig«, widersprach Pitter mit ungewohntem Ernst. »Und du wirst mal ein verdammt guter Priester werden.«
    »Ich weiß nicht.«
    »Ich schon«, sagte Bertram. »Und wir beide werden vor der Beichte in die Badestube gehen und versuchen, saubere Kutten zu bekommen.«
    »Ja, gleich. Pitter, warum wollte sie, dass ausgerechnet ich in ihr Versteck komme?«
    »Weil du so schön fett bist, Lodewig. Es heißt, diese Kanalratten ernähren sich von Menschenfleisch.«
    Lodewig wurde grün im Gesicht.

36. Kapitel
    Seit seinem Körper wieder Nahrung zugeführt wurde, bereitete er Pater Ivo größere Pein als die ganze Zeit zuvor. Er war ein tätiges Leben gewöhnt, hatte auf den Gütern des Klosters schwer gearbeitet und in den Weinbergen gewerkt. Seit sechs Tagen aber nun hatte er nicht mehr Raum, als er mit drei kleinen Schritten durchmessen konnte. Solange er gefastet hatte, versucht hatte, in den Dämmerzustand zu entfliehen, oder auf den Knien psalmodiert hatte und dabei schwächer und schwächer wurde, war ihm die Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit nicht so schwer gefallen. Doch nun brach seine unterdrückte Natur durch, und er haderte mit sich selbst. Geduld war seine Stärke nicht. Zwar glaubte er nun, dass er bei einer passenden Gelegenheit aus der Klause entkommen konnte - und endlich war er Theodoricus dankbar dafür, dass er das Gelübde bei dem Einmauerungsritual übergangen hatte - aber zur Untätigkeit und Unbeweglichkeit verurteilt zu sein, das nagte an ihm.
    Außerdem begann es in der Klause höchst ungemütlich zu werden. Die Sonne war kräftig geworden und heizte den halben Tag lang die Steine auf. Nur wenig frische Luft drang durch das kleine Fenster und - zugegeben - es stank inzwischen in dem engen Raum. Seine weiße Kutte war verschwitzt, und Haut und Haare fühlten sich klebrig an.
    Es war auch noch schwerer geworden, die Stimme zu ertragen, nun, da er wusste, wem die eine gehörte und wen die andere gesandt hatte.
    An diesem Abend hatte sie von der Magd gesprochen, die sie vergiftet hatten. Als er erfuhr, dass sie ihren Leichnam tatsächlich in den Hof seines Vaterhauses gebracht hatten, wäre er fast aufgesprungen und hätte etwas Unverzeihliches gebrüllt. Noch immer kochte die Wut in ihm, und mit einem geknurrten: »Mist, Maria!« schlug er mit der geballten Faust gegen die Wand der Klause.
    Sand rieselte vor seine Füße. Vier Ziegel hatten sich aus dem Verbund gelöst und nach außen verschoben. Ungläubig sah er die Mauer an. Sehr langsam kroch Verstehen in sein Bewusstsein.
    Darum also hatte sich die Begine als Mauergehilfe verkleidet.
    Sie hatte dafür gesorgt, dass er nicht gefangen war. Er konnte jederzeit die Steine abtragen und in die Freiheit treten.
    Oder auch nicht.
    Oder besser noch nicht.
    Er schaute durch die Öffnung, ob sich jemand in der Nähe aufhielt. Es war alles ruhig. Also langte er beherzt nach draußen und schob die Ziegel wieder an ihren Platz.
    Immerhin war es eine Erlösung zu wissen, dass die Möglichkeit bestand, aufzustehen und fortzugehen.
    Eine Welle von Zuneigung durchfloss ihn, eine stille Dankbarkeit für ihr

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