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Das brennende Gewand

Das brennende Gewand

Titel: Das brennende Gewand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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auf. Ihr müsst mich anhören!«
    Nein. Er musste niemanden anhören. Und die giftige Schlange erst recht nicht.
    Vorsichtig zog er sich noch weiter zurück.
    »Ihr seid wach, Herr, und ihr habt Euer Brot gegessen. So antwortet mir doch!«
    War es wirklich die Stimme seiner Peiniger? Neugierig geworden beugte er sich wieder ein wenig nach vorne. Doch in der Dunkelheit konnte er nur die Umrisse einen Kopfes erkennen. Dann aber wurde die Stimme scharf und fuhr ihn an: »Heilige Mutter Maria, ›besser einer Bärin begegnen, der die Jungen geraubt sind, als einem Toren in seiner Torheit‹.«
    »›Besser im Winkel auf dem Dach sitzen, als zusammen mit einer zänkischen Frau in einem Hause‹«, grollte er, erntete ein erleichtertes: »Gelobt sei der Herr!«, und ein kleines Lachen.
    Dann verschwanden die ersten Ziegel.
    Für einen kleinen Moment erwog er, sich ungeduldig und mit Kraft gegen die Mauer zu werfen, um seine ersehnte Befreiung zu beschleunigen. Doch dann hielt ihn die Vernunft davon ab. Dort draußen handelten Leute, die wohlüberlegt vorgingen, und sein Eingreifen konnte ihre Pläne zerstören. Geduld, ja, und Vertrauen in ihr Vorgehen wurden von ihm erwartet.
    Beides Dinge, die ihm plötzlich unsagbar schwerfielen.
    So harrte er beherrscht aus, bis eine schmale Öffnung entstanden war.
    »Kommt heraus. Seid Ihr kräftig genug, es alleine zu tun?«, fragte die vertraute Stimme seiner Begine.
    Er hatte es geglaubt, aber die lange Untätigkeit hatte seine Muskeln verkrampft. Jemand packte ihn, half ihm vor die Klause. Ein anderer zerrte an seiner Kutte, und mit einem unwirschen »Lasst das!«, wehrte er die zugreifenden Hände ab.
    Ein dumpfer Schlag gegen seine Schläfe war das Letzte, was er mitbekam.
     
    »Schnell, Meister Krudener. Reicht mir den Strohmann.«
    Mit Hilfe des Apothekers richtete Almut die nun weißgekleidete Gestalt auf der Bank her und zog ihr die Kapuze über den Totenschädel. Dann steckte sie ihre Marienfigur in den Beutel an ihrem Gürtel, den inzwischen trockenen Wecken, der neben ihr lag, bedachte sie mit einem zärtlichen Lächeln, und die kleine Honigbiene berührte sie sanft mit der Fingerspitze und deckte sie mit einem welken Rosenblatt zu.
    Leon hatte den bewusstlosen Herrn vom Spiegel an Stelle des Strohmannes in den Karren gelegt und mit einer Decke verhüllt. Krudener und er brachten ihre Ladung im Laufschritt nach Hause. Der Pferdeknecht half Almut, die Mauer wieder hochzuziehen. Dann eilten auch sie zurück.
    Die jungen Feuerwerker warteten schon mit rußverschmierten Händen und Gesichtern im Hof und kicherten vergnügt über ihren Streich.
    »Davon wird der Nachtwächter noch lange singen«, gluckste Fredegar.
    »Und die aal Berta wird noch bis in den Morgen ihr Gottseibeiuns beten.«
    »Die Dirnen fanden mein buntes Feuer sehr hübsch. Sie wollen so etwas für ein Fest haben«, gestikulierte Trine.
    »Ihr seht alle drei aus, als wäret ihr nur knapp der Hölle entronnen«, stellte Almut fest und musste ebenfalls lächeln. Sie war unendlich erleichtert, dass ihr Streich so gut gelungen war. Leon und der Majordomus waren eben dabei, den bewusstlosen Ivo vom Spiegel ins Haus zu tragen, und sie sollte sich ihnen anschließen. Aber Hardwin vertrat ihr den Weg.
    »Verzeiht, Herrin, aber tut das nicht.«
    »Er braucht mich jetzt. Ich bin nicht unerfahren in der Pflege von Schwachen.«
    »Ich weiß. Doch auch ich kenne mich damit aus, und - er wird, mit Verlaub gesagt, sehr brummig sein, wenn er aufwacht.«
    Almut schnaubte. »Was seine Brummigkeit anbelangt, bin ich das eine oder andere von ihm gewöhnt.«
    »Sicher, Herrin. Sonst verstündet Ihr ihn ja auch nicht so gut. Aber ich bin sein Knecht. Es wird ihm leichter fallen, meine Dienste anzunehmen. Lasst ihn seine Würde wahren.«
    Almut wollte aufbegehren, doch dann erschloss sich ihr sein Argument.
    »Ja. Es war unbesonnen. Gebt mir Kunde, wann er mich zu sehen bereit ist.«
    »Selbstverständlich.«
    Pitter und Fredegar hatten sich am Brunnen gewaschen und lungerten im Hof herum, aber Almut schickte sie fort. Trine und Meister Krudener waren bereits nach Hause gegangen, und die Haushälterin winkte Almut nun in ihr Reich und bot ihr an: »Ihr könnt heute Nacht nicht mehr in den Konvent zurückkehren. Ich habe Euch ein Zimmer gerichtet.«
    »Danke. Ich habe der Meisterin geraten, meine Abwesenheit damit zu begründen, dass ich meiner Stiefmutter bei der Pflege ihrer erkrankten Kinder helfen muss. Man wird mich nicht

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