Das brennende Gewand
Ratte nämlich stand in dem Ruf, ein wahrer Kämpfer zu sein, der alle anderen Gegner bisher besiegt hatte. Die Gefangene wurde also zu der Weißen in den Käfig gesperrt, und gebannt beobachteten die Zuschauer, wie sie einander misstrauisch beäugten.
Unvermittelt griff die weiße Ratte an. Die andere quietschte, Fell wurde gerupft, Bisse verabreicht. Und dann, ganz plötzlich, warf sich die graue auf den Rücken und blieb erstarrt liegen. Die weiße gönnte ihr einen verächtlichen Blick und begann dann, ihr das Fell am Bauch zu putzen.
»Mist, das war kein Kampf. Die graue hat gleich aufgegeben. Wir brauchen eine neue. Das war keine Herausforderung! Da ist ja noch nicht mal Blut geflossen.«
Joeris war unzufrieden und ließ die Gefangene frei. Bertram hingegen war nicht ganz so fasziniert von dem Vorschlag.
»Warum willst du denn, dass sie sich blutig beißen?«
»Das macht mehr Spaß. Ist spannender, als wenn eine nur demütig nachgibt.« Er grinste den Novizen an. »Aber das versteht ein Mönchlein wie du nicht.«
Bertram zuckte mit den Schultern, blieb aber dennoch bei ihnen, denn Pitter hatte die Falle mit einem neuen Stück Wecken präpariert und sie aufgestellt.
Wieder dauerte es eine Weile, dann aber zog die spitze Schnauze einer Ratte ihre V-förmige Bahn durch das seichte Wasser und näherte sich dem schlammigen Ufer. Der Geruch aus der Falle schien sie anzuziehen, aber dann machte sie eine unerwartete Kehrtwendung und lief auf ein klumpiges Stück Lehm zu, das an der gemauerten Befestigung des Baches zu kleben schien.
Der Lehm bewegte sich, und die Ratte huschte in die Falten, die er bildete.
Schreckensbleich starrten die vier die graubraune Masse an, aus der blutunterlaufene Augen schimmerten. Joeris verschwand wie ein Geist, Pitter wollte sich anschließen, aber Lodewig befahl unerwartet streng: »Bleib.«
»Ja, bleibt.« Eine heisere Stimme, kaum hörbar, kam aus dem zahnlosen Mund, und ein schauriger Ton folgte. Es mochte der Versuch eines Lachens sein.
»Wer bist du?«, fragte Bertram, der sich langsam wieder gefasst hatte.
»Weiß nich.«
»Jeder weiß, wer er ist.«
»Vergessen.«
Die roten Augen blinzelten in das Licht, denn die Wolken, die sich seit dem Mittag vor die Sonne geschoben hatten, gaben ein paar Strahlen frei. So war auch die Gestalt deutlicher zu erkennen. Es war eine Frau, die Lumpen an ihrem Körper starrten vor Schmutz, die langen grauen Haare hingen verfilzt über ihre Schultern, ihre Haut war grau und voller Schwären.
»Was machst du hier?«, flüsterte Pitter, den sonst nicht viel erschüttern konnte.
»Sonne sehen. Letztes Mal. Lange her.«
»Du kommst von da unten?« Er wies auf den halb von Gestrüpp überwachsenen Rundbogen in der Mauer, der zu den Kanälen führte.
»Ja, von unten. Wollt ihr uns besuchen? Der Dicke da ist uns willkommen!« Wieder folgte der schaurige Laut.
»Warum ich und die anderen nicht?«, wollte Lodewig wissen, aber Pitter kniff ihn in den Arm.
»Frag lieber nicht. Lass uns verschwinden.«
Lodewig schluckte, und eine böse Ahnung überkam ihn. Dennoch blieb er und beobachtete, wie zwei weitere Ratten sich dem Geschöpf näherten. Diesmal machte die Frau keine Bewegung, und die Tiere drängten sich ebenfalls in die schmutzigen Falten ihrer Kleider.
»Mein Freunde.«
»Die Ratten?« Bertram überwand seinen Ekel und betrachtete sie genauer. »Oh Gott, Ihr seid eine Aussätzige.«
»Kein hübsches Ding mehr.«
»Du brauchst Hilfe.«
»Nein. Sterbe.« Die blutunterlaufenen Augen schlossen sich wieder. »Hölle.«
»Nein«, erklärte Lodewig bestimmt. »Nicht, wenn du bereust.«
»Bist du schon Priester?«
»Nein, aber das zu versprechen bedarf es nicht eines Priesters.«
»War einer hier. Der hat die Hölle versprochen.«
»Es war ein Priester bei dir, der dir die Hölle versprochen hat?«
»Hat die Dämonen gerufen.«
»Priester rufen die Dämonen nicht. Das ist unsinnig.«
»Was weißt du schon?«
»Er hat dir sicher gesagt, dass du beten sollst, um nicht in die Hölle...«
»Grüne Dämonen. In Flammen.«
»Wirst es geträumt haben.«
Doch die Frau schauderte und zerrte mit ihren Fingerstummeln an den Lumpen.
Bertram aber zog den ungeheuren Schluss.
»Ein Mönch in brauner Kutte. Er wollte von dir wissen, wer am Ostertag den Mann umgebracht hat?«
»Ostertag? Ich weiß nichts von Ostern.«
»Aber von dem Toten.«
Das schaurige Geräusch ertönte noch einmal.
»Von Toten weiß ich viel.«
»Was habt Ihr dem
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