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Das brennende Gewand

Das brennende Gewand

Titel: Das brennende Gewand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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der Edlen von Bilk so wenig wie möglich unter die Augen zu kommen. Darf Bertram mich begleiten? Er wollte noch einmal mit seiner Mutter sprechen.«
    »Natürlich, Frau Almut. Und - ah, bevor ich es vergesse - von Euren Sünden seid Ihr natürlich freigesprochen.«
    Der Abt segnete sie und brachte sie bis zur Werkstatt des jungen Holzschnitzers.
    Bertram stand an dem Bord, auf dem sich unzählige Holzstücke unterschiedlichster Größe und Formen befanden, und wog ein armlanges Scheit in einer Hand. Mit den Fingern der anderen tastete er die Oberfläche ab, als ob er versuchte, in der Textur und Maserung etwas zu lesen.
    »Vorbereitung für ein neues Kunstwerk?«
    »Ah, Frau Almut! Ja, ich suche nach etwas Bestimmtem. Aber ob es ein Kunstwerk wird, das weiß ich noch nicht.«
    »Bisher ist eigentlich alles, was dein Schnitzmesser berührt hat, zu einem Werk größter Schönheit geworden.«
    »Das ist es ja gerade. Aus diesem wird etwas entstehen, was von entsetzlicher Hässlichkeit zeugt.«
    »Dann war es mein Fehler, das falsche Wort gewählt zu haben. Deine Werke werden immer beseelt sein und den Betrachter auf das Wesen der Dargestellten lenken. Wenn du die Hässlichkeit ausdrücken willst, so wird es dir genauso gelingen, wie du Demut, Liebe und Heiligkeit deinen Figuren einzuprägen weißt.«
    »Vielleicht. Das Holz zumindest passt zu der Idee, die mir vorschwebt.«
    Almut sah sich das graue, knorrige Stück an.
    »Was ist es?«
    »Die Wurzel einer Esche. Sie hat lange im Wasser gelegen.«
    »Es sieht aus, als ob es schwer zu bearbeiten sei.«
    »Das wird es sein. Aber ich will es so.« Dann sah er die Begine zweifelnd an. »Dem Vater Abt wird es nicht gefallen. Er zieht wahre Schönheit vor.«
    »Ich habe keine Bedenken, Bertram, dass es dennoch jemanden geben wird, der auch an einem Werk vollkommener Hässlichkeit aus deinen Händen Gefallen findet. Aber würdest du mich bitte zum Konvent begleiten?«
    Unter freundlichem Geplauder wanderten die beiden durch die schmale Bechergass zum Domhof. Die Arbeiter auf der Baustelle räumten ihre Werkzeuge zusammen, Lehrlinge fegten Steinsplitter, Sand und Gipsbrocken zusammen, die Männer aus der Tretmühle des Krans auf dem Südturm kamen müde über den Platz geschlichen. Neben einem Säulenkapitell und einer Reihe kleiner Kreuzblumen fachsimpelte der Parler mit dem Dombaumeister, offensichtlich aber nicht auf die friedfertigste Weise. Gesten und Tonfall wirkten unfreundlich.
    Almut lenkte ihre Schritte stracks auf die beiden zu.
    »Was wollt Ihr heute von ihm schnorren?«, fragte Bertram belustigt. Es hatte sich herumgesprochen, dass die Begine sich gerne Rat bei dem Baumeister holte und jederzeit ein begehrliches Auge auf allerlei Baumaterial hatte.
    »Mal sehen, was ich bekommen kann. Sieht man es mir so deutlich an?«
    »Das Maßwerk fördert das Glitzern in Euren Augen, Frau Almut. Ich kenne das. Ein schöner Baumstamm weckt ähnliche Gelüste in mir.«
    Meister Michael sah sie kommen, und winkte sie mit einer grüßenden Handbewegung zu sich.
    »Ich grüße Euch, Frau Baumeisterin«, sagte er, und der Parler starrte sie entgeistert an.
    »Nicht doch, Meister Michael. Allenfalls Gesellin.«
    »Die Frau Begine hat soeben ihre erste Kapelle eigenhändig fertig gestellt«, erklärte der Dombaumeister dem Parler, der sich deutlich auf den Arm genommen fühlte und sich eiligst verabschiedete.
    »Er glaubt es nicht.«
    »Nein, und das ist sein größter Fehler. Er glaubt vieles nicht, was für ihn besser wäre zu glauben. Aber so ist das nun mal. Wie steht das Befinden, Frau Almut? Und Ihr seid der junge Schnitzer von Groß Sankt Martin, wenn ich mich recht erinnere?«
    »Ja, Meister Michael.«
    »Ich sah kürzlich ein paar Eurer Arbeiten. Mit dem freien Stein möchtet Ihr nicht arbeiten?«
    »Ihr schmeichelt mir, Meister Michael. Aber ich ziehe das Schnitzmesser dem Meißel vor. Und warmes Holz dem kalten Stein.«
    Almut hatte in der Zwischenzeit die zierlich gearbeiteten Kreuzblumen begutachtet, die auf den zahlreichen Fialen und Wimpergen Wurzeln schlagen sollten. Die Vorstellung, ihrem Kapellchen zwei davon auf das Dach zu setzen, überwältigte sie geradezu. Aber sie unterdrückte tapfer die Bitte, die ihr auf der Zunge lag, und stellte stattdessen die Frage, mit der sie sich schon seit Tagen beschäftigte.
    »Meister Michael, das Gebäude meiner Kapelle ist vollendet, doch noch muss eine letzte Arbeit getan werden. Ich brauche eine schöne Altarplatte. Zuerst

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