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Das brennende Land

Das brennende Land

Titel: Das brennende Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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es an der Zeit sei, die Würfel zu werfen.
    Wir saßen in dem großen Römerpalas, einem Gebäude aus Ziegelsteinen und Marmor, dessen Löcher mit sächsischem Stroh und Flechtwerk geflickt waren. Es gab hier eine erhöhte Plattform, auf der üblicherweise der Thron stand, doch nun war dort ein langer Tisch auf Holzböcken aufgebaut, von dem grüne Leinendecken herabhingen. Alfred saß an der Längsseite in der Mitte, neben sich seine Frau Ælswith und zu seiner anderen Seite Æthelflæd, seine Tochter. Sie waren, abgesehen von den Dienerinnen, die einzigen Frauen im Raum. Æthelred saß neben Æthelflæd, während Edward an der Seite seiner Mutter Platz genommen hatte. Die anderen sechs Plätze an der Ehrentafel gehörten Bischof Erkenwald, Bischof Asser und den wichtigsten Abgesandten aus anderen Ländern. Ein Harfenist saß auf dem Rand der Plattform und sang ein langes Preislied auf Alfreds Gott.
    Vor der Plattform, zwischen den Pfeilern des Palas, standen vier weitere Tische, an denen Gäste aßen, Kirchenmänner und Krieger. Ich saß zwischen Finan und Steapa in der dunkelsten Ecke des Raumes, und ich bekenne, dass ich sehr schlechte Laune hatte. Es schien mir allzu offensichtlich, dass Haesten Alfred zum Narren gehalten hatte. Der König war einer der weisesten Männer, die ich in meinem Leben kennengelernt habe, doch er hatte eine allzu große Schwäche für seinen Gott, und es kam ihm nicht in den Sinn, dass hinter Haestens vorgeblichen Zugeständnissen politische Berechnung stehen könnte. Alfred glaubte einfach, sein Gott habe ein Wunder gewirkt. Er wusste freilich von seinem Schwiegersohn und seinen eigenen Kundschaftern, dass Haesten auf den Thron von Ostanglien aus war,    doch das kümmerte ihn nicht, denn er hatte zuvor schon geduldet, dass dieses Land unter dänischer Herrschaft stand. Er träumte davon, es zurückzugewinnen, doch er wusste sehr wohl zwischen Wunsch und Wirklichkeit zu unterscheiden. In diesen letzten Jahren seines Lebens bezeichnete sich Alfred stets als König der Angelcynn, als König des englischen Volkes, und damit meinte er all das Land in Britannien, in dem die sächsische Sprache gesprochen wurde, und dennoch wusste er, dass dieser Titel nur eine Hoffnung war und nicht der Wirklichkeit entsprach. Es war Alfred gelungen, Wessex zu befrieden und seine Autorität über weite Teile Merciens auszudehnen, doch die übrigen Angelcynn standen unter dänischer Herrschaft. Gleichwohl war er stolz darauf, Wessex zu einer Stärke geführt zu haben, die Haralds große Armee besiegen und Haesten zwingen konnte, für seine Familie die Taufe zu erbitten.
    Über all das grübelte ich nach. Steapa ließ gelegentlich eine Bemerkung fallen, doch ich hörte sie kaum, und Finan machte spöttische Witze, über die ich pflichtbewusst lächelte. Eigentlich wollte ich nur so schnell wie möglich aus diesem Palas heraus. Alfreds Feste waren nie sehr prächtig. Das Ale war knapp bemessen, und die Unterhaltung bestand aus frommen Darbietungen. Drei Mönche sangen ein langes, lateinisches Gebet, und dann sang der Kinderchor ein Liedchen darüber, dass sie alle Lämmer Gottes seien. Alfred strahlte vor Wonne. «Wundervoll!», rief er aus, als die ungewaschenen Kleinen mit ihrer Katzenmusik fertig waren. «Wahrhaftig wundervoll!» Ich glaubte schon, er würde die Kinder um ein weiteres Lied bitten, doch dann beugte sich Bischof Asser hinter Ælswiths Rücken zu ihm und sagte etwas, das Alfreds Augen zum Aufleuchten brachte. «Bruder Godwin!», rief er dem blinden Mönch    zu, «Ihr habt schon seit vielen Wochen nicht mehr für uns gesungen!»
    Der junge Mönch schreckte zusammen, doch ein Tischgenosse geleitete ihn am Ellenbogen zu dem Platz, von dem eine Nonne die Kinder weggeführt hatte. Bruder Godwin stand allein für sich, als der Harfenist die Saiten anschlug. Ich dachte schon, der blinde Mönch würde niemals anfangen zu singen, denn er zuckte nur ruckartig mit dem Kopf vor und zurück. Die Harfenakkorde klangen jetzt abgehackt und unheimlich. Einige Männer bekreuzigten sich, und dann drangen leise, winselnde Töne aus Bruder Godwins Mund. «Er ist mondsüchtig», murmelte ich Finan zu.
    «Nein», flüsterte er, «er ist besessen.» Er fingerte nach dem Kreuz, das stets um seinen Hals hing. «Ich habe in Irland heilige Männer gesehen», fuhr er leise fort, «sie waren genau wie er.»
    «Der Geist Gottes spricht durch ihn», sagte Steapa ehrfürchtig. Alfred musste uns gehört haben, denn er

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