Das brennende Land
sah ärgerlich in unsere Richtung. Wir verstummten. Und mit einem Mal begann sich Godwin zu krümmen und erfüllte den Raum mit einem lauten, hallenden Schrei. Der Rauch aus den Kohlenpfannen wirbelte um ihn und stieg auf, um schließlich durch das Abzugsloch zu verschwinden, das man in das römische Dach gerissen hatte.
Viel später erfuhr ich, dass Bruder Godwin von Bischof Asser entdeckt worden war. Er hatte den blinden, jungen Mönch im Kloster von Æthelingæg gefunden. Man hatte ihn dort eingesperrt, weil der Abt glaubte, Godwin sei närrisch wie eine Fledermaus, doch Bischof Asser entschied, dass Godwin in Wahrheit die Stimme seines Gottes hörte. Also hatte er den Mönch zu Alfred gebracht. Alfred hielt alles, was aus Æthelingæg kam, für glückverheißend, denn das war der Ort, an dem er die schwerste Krise seiner Regentschaft überstanden hatte.
Godwin begann zu kreischen. Es klang, als litte er unerträgliche Schmerzen, und der Harfenist nahm die Hände von den Saiten. Hunde, die irgendwo in den dunklen Tiefen des Palas angekettet waren, begannen zu jaulen. «Der Heilige Geist fährt in ihn», wisperte Finan voll ängstlicher Bewunderung. Dann stieß Godwin einen Schrei aus, dass man glauben konnte, jemand risse ihm die Eingeweide aus dem Leib.
«Ehre sei Gott», sagte Alfred. Seine Familie und er sahen den Mönch an, der nun die Arme ausgebreitet hielt, als habe man ihn gekreuzigt. Dann ließ er sie an den Seiten herunterfallen und begann zu sprechen. Er zuckte und bebte dabei, und seine Stimme schlingerte zwischen hoch und tief dahin, mal schrill, mal so leise, dass man ihn kaum verstand. Wenn das sein Singen war, dann hatte ich einen solch merkwürdigen Gesang noch nie gehört. Zuerst klang es, als würde er nur unsinnige Worte von sich geben oder als würde er in einer fremden Sprache singen, doch dann formten sich in all dem Gefasel verständliche Sätze. Alfred war von Gott auserwählt. Wessex war das Gelobte Land. Milch und Honig würden hier fließen. Die Frauen hatten die Sünde in die Welt gebracht. Gottes strahlende Engel breiteten ihre Flügel über uns aus. Der höchste Gott ist schrecklich. Die Wasser Israels verwandelten sich in Blut. Die Hure Babylon war unter uns.
Nach diesem Satz hielt er inne. Der Harfenist hatte einen Rythmus in Godwins Worten ausgemacht und spielte leise, doch seine Hände erstarrten auf den Saiten, als der Mönch seine blinden Augen auf die Gäste richtete und ein verwirrter Ausdruck auf seinem Gesicht erschien. «Die Hure!», kreischte er wieder und wieder. «Die Hure! Die Hure! Die Hure ist unter uns!» Dann stieß er ein jammerndes Geräusch aus, sank in die Knie und begann zu schluchzen.
Niemand sagte ein Wort. Niemand rührte sich. Der Wind heulte im Rauchabzugsloch, und ich dachte an meine Kinder, die irgendwo in Æthelflæds Gemächern waren, und fragte mich, ob sie dieses närrische Gezeter dort hören konnten.
«Die Hure», sagte Godwin erneut und dehnte das Wort zu einem langen, unerträglichen Jaulen. Dann wurde seine Stimme plötzlich ganz normal. «Die Hure ist unter uns, Herr», sagte er an Alfred gerichtet.
«Die Hure?», fragte Alfred unsicher.
«Die Hure!», schrie Godwin wieder. Erneut beruhigte er sich. «Die Hure, Herr, ist die Made in der Frucht, die Ratte im Kornspeicher, die Heuschrecke auf dem Weizenfeld, die Krankheit unter den Kindern Gottes. Das betrübt Gott, Herr.» Er begann zu weinen.
Ich berührte meinen Thorshammer. Das war Tollheit. Godwin war nicht mehr zu helfen, dachte ich, aber all die Christen im Raum starrten ihn an, als habe ihn der Himmel geschickt. «Wo ist Babylon?», flüsterte ich Finan zu.
«Irgendwo sehr weit weg», antwortete er leise. «Ich glaube, noch weiter als Rom.»
Godwin weinte leise vor sich hin, doch er sagte nichts mehr, und Alfred bedeutete dem Harfenisten mit einer Handbewegung, sein Spiel wieder aufzunehmen. Als die Akkorde erklangen, begann Godwin wieder mit seinem Gesang, wenn seinen Worten nun auch jeder Rhythmus fehlte. «Babylon ist die Wohnstatt des Teufels», rief er, «die Hure ist das Kind des Teufels, die Hefe im Brotteig wird nicht aufgehen, die Hure ist zu uns gekommen. Die Hure ist gestorben, und der Teufel hat sie aufgenommen. Die Hure wird uns vernichten. Haltet ein!»
Die letzte Anweisung galt dem Harfenisten, der ängstlich die flachen Hände auf die Saiten seines Instrumentes legte, um es zum Verstummen zu bringen.
«Gott ist auf unserer Seite»,
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