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Das brennende Land

Das brennende Land

Titel: Das brennende Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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fragte ich aufgebracht und sah über das verregnete Land mit seinen niedrigen Hügeln und den kleinen Feldern mit ihren vertrauten Steinmauern.
    «So nennen es alle», sagte Ragnar. «Das englische Königreich.» «Es ist kein Königreich», sagte ich missmutig.
    «So nennen sie es. Dein Onkel hat das gut gemacht.» Ich gab einen würgenden Laut von mir, und Ragnar musste lachen. «Man muss daran denken, dass der gesamte Norden dänisch ist, mit Ausnahme des Landes von Bebbanburg.»
    «Weil es keinem von euch gelungen ist, die Festung einzunehmen», entgegnete ich scharf.
    «Vermutlich ist sie uneinnehmbar. Mein Vater hat immer gesagt, es wäre zu schwierig.»
    «Ich werde sie einnehmen.»
    Wir ritten hügelabwärts. Die Bäume verloren in dem auflandigen Wind ihre letzten Blätter. Die Weiden waren dunkel, das Dachstroh der Hütten beinahe schwarz, und der schwere Modergeruch des vergehenden Jahres hing zäh in der Luft. Ich hielt an einem Bauerngehöft. Es war verlassen, weil die Leute uns hatten kommen sehen und in die Wälder geflüchtet waren, und ich warf einen Blick in den Kornspeicher. Die Ernte war dieses Jahr gut gewesen. «Er wird immer reicher», sagte ich und meinte meinen Onkel, «warum geht ihr nicht in seinem Land auf Beutezug?»
    «Das tun wir, wenn wir Langeweile haben. Und dann geht er in unserem Land auf Beutezug.»
    «Und warum besetzt ihr sein Land nicht einfach und lasst ihn in der Festung verhungern?»
    «Das hat schon mehr als einer versucht. Entweder kämpft dein Onkel, oder er bezahlt seine Gegner dafür, dass sie abziehen.»
    Es wurde erzählt, dass mein Onkel, der sich Ælfric von Bernicia nannte, in der Festung eine Haustruppe mit mehr als hundert Kriegern unterhielt und dass er darüber hinaus viermal so viele Männer aus den umliegenden Dörfern zusammenrufen konnte. Er hatte in der Tat ein kleines Königreich. Im Norden bildete der Tuede seine Grenze. Auf dessen anderer Seite lag das Land der Schotten, die ständig Raubzüge unternahmen, um Vieh und Feldfrüchte zu stehlen. Südlich des Landes von Bebbanburg floss der Tinan, wo der
Seolferwulf
jetzt lag. Im Westen erhoben sich Hügelketten, und alles Land jenseits der Hügel und südlich des Tinan war in dänischer Hand. Ragnar herrschte südlich des Flusses. «Wir unternehmen manchmal Beutezüge auf dem Land deines Onkels», sagte er, «aber wenn wir uns zwanzig Kühe nehmen, kommt er zu uns und holt sich zwanzig von unseren. Und wenn uns die Schotten lästig fallen?» Er zuckte mit den Schultern, ohne den Satz zu beenden. «Die Schotten sind immer lästig», sagte ich.
    «Seine Krieger sind sehr nützlich, wenn die Schotten einen Raubzug unternehmen.»
    Also konnte Ælfric von Bernicia ein guter Nachbar sein, der mit den Dänen zusammenarbeitete, wenn es darum ging, die Schotten zurückzutreiben und zu bestrafen, und im Gegenzug verlangte er lediglich, in Frieden gelassen zu werden. Auf diese Art hatte Bebbanburg als christliche Enklave in einem Land der Dänen überleben können. Ælfric war der jüngere Bruder meines Vaters, der hellste Kopf in    der Familie. Wenn ich ihn nicht so sehr gehasst hätte, dann hätte ich ihn möglicherweise sogar bewundern können. Er wusste eines ganz genau, und das war, dass sein Überleben von der großen Festung abhing, auf der ich geboren war und die ich mein gesamtes Leben lang als meine Heimat betrachtet hatte. Einst war ein wirkliches Königreich von Bebbanburg aus regiert worden. Meine Vorfahren waren die Könige von Bernicia gewesen, und ihr Reich hatte sich weit in das Gebiet erstreckt, das die Schotten dreist als ihr Land geltend machen. Im Süden hatte es bis in die Nähe von Eoferwic gereicht, doch dann war Bernicia von Northumbrien geschluckt worden, und Northumbrien war an die Dänen gefallen. Aber die alte Festung stand immer noch, und das Land, das zu ihr gehörte, war das, was von dem alten englischen Königreich Bernicia übrig geblieben war. «Bist du Ælfric schon einmal begegnet?», fragte ich Ragnar jetzt.
    «Viele Male.»
    «Und du hast ihn nicht für mich getötet?»
    «Wir sprechen stets unter einem Friedensabkommen miteinander.»
    «Erzähl mir von ihm.»
    «Alt, grau, schlau, vorsichtig.»
    «Und seine Söhne?»
    «Jung, zaghaft, schlau, vorsichtig.»
    «Ich habe gehört, dass Ælfric krank war.»
    Ragnar zuckte mit den Achseln. «Er ist beinahe fünfzig Jahre alt, welcher Mann, der so lange lebt, ist nicht krank? Aber er erholt sich.»
    Der älteste Sohn meines Onkels

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