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Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)

Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)

Titel: Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wende
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Unruhen führten, die in Alexandria in gewalttätigen Ausschreitungen gegen Europäer gipfelten. Da die Franzosen aus innenpolitischen Gründen nicht zu einer gemeinsamen Aktion bereit waren, entschloß sich die britische Regierung, allein militärisch einzugreifen, um die ägyptischen Verhältnisse zu stabilisieren und vor allem um den Kanal zu sichern. Ein starkes britisches Expeditionskorps schlug die aufständischen ägyptischen Truppen. Noch im Jahr zuvor hatte der liberale britische Premier Gladstone im Süden des Kontinents mit der Konvention von Pretoria den Rückzug aus den Burenrepubliken verfügt. Nun sah er sich hier im Norden mit dem Dilemma konfrontiert, daß er zwar einen raschen Rückzug Englands aus Ägypten anstrebte, dieser jedoch stabile Verhältnisse voraussetzte, die sich nicht ohne weiteres herstellen ließen. Vor allem hätte eine Räumung entweder den Sieg antibritischer nationaler Kräfte oder aber eine erneute dominierende Position des französischen Konkurrenten bedeutet, der ohnehin durch die Invasion der Briten aufs äußerste irritiert war. Schon um den Konflikt mit Frankreich nicht weiter eskalieren zu lassen, kam daher auch eine förmliche Eingliederung Ägyptens in den Verband des Empire nicht in Frage. Statt dessen wurde, ähnlich wie bereits im Bereich der indischen Fürstentümer, ein System der indirekten Herrschaft errichtet. Formal blieben die alten Strukturen erhalten, doch der Khedive und seine Minister hatten de facto die Anweisungen des britischen Generalkonsuls zu befolgen; in sämtlichen Ministerien und leitenden Behörden fungierten um 1900 ca. 500 Briten als ‹Berater› – der Form nach waren sie ägyptische Beamte und trugen den landesüblichen Fez als Kopfbedeckung, de facto jedoch setzten sie die Richtlinien der britischen Kolonialpolitik um. So wurden die Finanzen von Briten verwaltet; die ägyptische Armee wurde neu formiert und unter das Kommando britischer Offiziere gestellt; gleichzeitig waren britische Einheiten auf Kosten der einheimischen Regierung im Lande stationiert; britische Juristen initiierten eine umfassende Reform des Justizwesens; britische Inspektoren kontrollierten ägyptische Schulen; britische Ingenieure leiteten das für das Land lebensnotwendige Bewässerungssystem. Während in den südafrikanischen Kolonien schon längst Institutionen der politischen Selbstverwaltung bestanden, wurde in Ägypten, ähnlich wie in Indien, das System einer autokratischen Kolonialherrschaft errichtet. An dessen Spitze stand Evelyn Baring, der spätere Lord Cromer, ein ebenso energischer und fähiger Beamter wie entschiedener Vertreter einer Politik, die allein in einem Ausbau des Empire die Garantie für die Zukunft britischer Weltgeltung sah. Dreißig Jahre lang bestimmte er maßgeblich die Geschicke Ägyptens, zunächst als Mitglied der Kontrollkommission, dann von 1883 bis 1907 als Generalkonsul.
    Unter seiner Herrschaft wurde Ägypten nachhaltig in das ökonomische System des Empire eingebunden, d.h. seine Wirtschaft ganz auf die Bedürfnisse Englands ausgerichtet, mit dem Ergebnis, daß in den späten neunziger Jahren der Handel mit Großbritannien sich auf 63 % der ägyptischen Exporte und 38 % der Importe erstreckte. Bei den Ausfuhren handelte es sich in erster Linie um Baumwolle als Rohstoff für die immer noch weltweit führende englische Textilindustrie; ihr Anteil an den Exporten betrug 1880 bereits 76 % (im Wert von ca. 8. Mio Pfund) und stieg bis 1912 auf 93 % (ca. 30 Mio.). Dies bedeutete, daß die ägyptische Wirtschaft weiterhin vorwiegend agrarisch ausgerichtet blieb und lediglich industrielle Unternehmungen im Umfeld der Baumwollverarbeitung der britischen Verwaltung als förderungswürdig galten. Gleichzeitig fand im Bereich der Landwirtschaft ein Konzentrationsprozeß statt, durch den große Latifundien auf Kosten von Pächtern und kleinen Betrieben expandierten. Dabei wuchs innerhalb der überschaubaren Oberschicht der einflußreichen Landbesitzer und Geschäftsleute, deren Wohlstand sich zum Großteil auf die ökonomische Verflechtung mit England gründete, die Zahl der Europäer, speziell der Engländer. Gleichzeitig vertiefte sich die Kluft zwischen dieser Elite, die kulturell auf Europa ausgerichtet war, und der großen Masse der kleinen Bauern und Pächter, der landlosen Tagelöhner und Bettler, die dem traditionellen islamischen Glauben anhing – hier bauten schroffe soziale und kulturelle Gegensätze ein Spannungspotential

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