Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)
Kolonialherren geworden und allenfalls bereit, sich als eigenständige Glieder einer indischen Föderation anzuschließen. Entsprechend hoch türmten sich die Hindernisse für Gandhi und seine Gefolgsleute, die nicht nur ein unabhängiges, souveränes Indien forderten, sondern dieses zugleich als eine zentralistische Republik auf demokratischer Basis zu organisieren trachteten.
Auf britischer Seite sahen sich viele durch die offenkundigen Hemmnisse, die sich der Formierung einer geschlossenen nationalen Opposition entgegenstellten, in ihrer Sicht einer letztlich chaotischen indischen Realität bestätigt. Dies galt nicht nur für dezidierte Imperialisten wie Winston Churchill, die jede Form des Rückzugs aus Indien als den Anfang vom Ende des Britischen Empires begriffen. Auch liberale Politiker, die darauf setzten, daß Indien in Zukunft als Dominion dem Empire erhalten bleiben werde, hegten ihre Zweifel, ob die Form des europäischen, demokratisch-parlamentarisch organisierten Nationalstaates auf die indischen Verhältnisse übertragen werden könne. Andererseits sah man sich vor die Notwendigkeit gestellt, Reformen durchzuführen, die den Indern ein höheres Maß an politischer Selbstbestimmung gewährten. Damit sollte die Grundlage für eine britisch-indische Kooperation geschaffen werden, die ihrerseits noch ein bestimmtes Ausmaß von britischer Kontrolle sicherstellen könne. Fehlte es der indischen Nationalbewegung an durchgehender Geschlossenheit, so ließ auf der anderen Seite die britische Indienpolitik klare durchgängige Zielsetzungen vermissen. Dies kennzeichnete die politische Situation der Zwischenkriegsära, in der auf indischer Seite Phasen der Kooperations- und Verhandlungsbereitschaft mit Phasen der Verweigerung und des Widerstands und auf britischer Seite weitreichende grundsätzliche Absichtserklärungen mit kleinlichen konkreten Konzessionen wechselten.
Es waren die Enttäuschung über die Verfassung von 1919 und die Empörung über das Massaker von Amritsar, die Gandhi für seine erste große Kampagne 1920 nutzen konnte. Sie gipfelte in dem Appell, die auf Grund der neuen Gesetzeslage fälligen Wahlen zu boykottieren, und tatsächlich folgte die Mehrheit der Kongreßmitglieder dem Aufruf, obwohl sie damit darauf verzichtete, sich einen ersten Anteil an der politischen Macht im Lande zu sichern. Dagegen überwog der Vorteil, daß dieser Boykottaufruf ein deutliches Zeichen setzte, denn mit der Verweigerung jeder Form von Mitarbeit zielte er auf den Nerv britischer Kolonialherrschaft: die zumindest partielle Kooperation der Beherrschten. Und obwohl Gandhi 1922 wegen vereinzelter Gewaltausbrüche den Feldzug abbrach und sich die Anzeichen für eine Auflösung der Front des Widerstands mehrten, reagierte die Regierung in London und begann weitere Reformmaßnahmen zu erwägen. Zu deren Vorbereitung bereiste 1927 eine aus Vertretern aller drei Parteien gebildete Kommission unter der Leitung des Liberalen Sir John Simons Indien, mit dem Auftrag, die Auswirkungen des 1919 eingeführten Systems der Dyarchie zu überprüfen. Zwei Jahre später legte sie ihren ausführlichen Bericht vor, einschließlich eines Bündels von Empfehlungen für weitere Maßnahmen, die allerdings unter dem generellen Vorbehalt standen, daß das britische parlamentarische System nicht ohne weiteres auf die indischen Verhältnisse zu übertragen sei. Dennoch zog das Londoner Innenministerium – wenn auch in gewundenen Formulierungen – daraus in einem Memorandum an den Vizekönig das Fazit, daß alles letztendlich auf die Gewährung des Dominion-Status hinauslaufen werde.
Doch noch bevor der Simons-Report veröffentlicht werden konnte, stieß er in Indien bereits auf entschiedene Ablehnung, da es sich bei den Verfassern um eine rein britische Kommission ohne indische Beteiligung gehandelt hatte. Andere Dominions – so argumentierte Gandhi – hätten sich ihre Verfassungen selbst entworfen, und dieses Recht beanspruche Indien auch für sich. Statt einer Einladung nach London zu einer Round-Table Konferenz über eine künftige Verfassung zu folgen, mobilisierte Gandhi die indischen Massen in einer neuen anti-britischen Kampagne, diesmal als Protest gegen die staatliche Salzsteuer. Dann folgte das mittlerweile übliche Wechselspiel von rigorosen Maßnahmen und Phasen der Verhandlungsbereitschaft, mit dem Ergebnis, daß trotz schroffer Gegensätze immer noch Kompromisse möglich waren. So verhafteten die Briten Gandhi und
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