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Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)

Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)

Titel: Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wende
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traditionsgesättigten agrarischen Gesellschaft auf der Basis des freiwilligen Zusammenschlusses von dörflichen Gemeinschaften. Und auch als er 1919 mit Entschiedenheit den Kampf gegen die britische Kolonialherrschaft aufnahm, galt für ihn immer noch der bereits 1909 in einem Traktat formulierte Satz: «Ich hege keine Feindschaft gegen die Engländer, wohl aber gegen deren Zivilisation.»[ 9 ]
    Es waren weniger die Inhalte seiner Botschaft als vielmehr sein Charisma und Organisationstalent, die ihn auf indischer Seite zur zentralen Figur im Wechselspiel der Auseinandersetzungen der Zwischenkriegsära werden ließen, wobei es das Hauptmerkmal der Epoche war, daß der große, von indischer Seite als Befreiungskampf geführte Kolonialkrieg nicht stattfand. Statt dessen alternierten Phasen der politischen Verhandlungsbereitschaft und Kooperation mit Phasen entschlossenen, gelegentlich sogar die Grenze der Gewaltlosigkeit überschreitenden Widerstands. Um diesen politischen Kampf erfolgreich zu bestehen, als dessen Ziel nach 1920 nun offen swaraj, d.h. die uneingeschränkte politische Selbstbestimmung, verkündet wurde, reformierte Gandhi die innere Struktur der Partei: An die Stelle eines politischen Debattierclubs trat eine politische Kampforganisation. Die Landesverbände wurden durch 21 nach sprachlichen Kriterien bestimmte Provinzen ersetzt, die ihrerseits in ländliche und städtische Distrikte gegliedert waren, um so eine bessere Vertretung der ländlichen Bevölkerung zu erreichen. Der Aufbau war durchweg demokratisch, von lokalen Ausschüssen über Provinzialkomitees bis hin zur Wahl eines aus dreihundert Abgeordneten bestehenden All India Congress Committee, aus dem ein Exekutivausschuß hervorging, der de facto die Politik der Organisation leitete. Dennoch stand der Kongreß während all dieser Jahre vor der Schwierigkeit, den von ihm erhobenen Alleinvertretungsanspruch der nationalen indischen Interessen glaubhaft durchzusetzen. Den einen – z.B. liberalen Honoratioren, die weiterhin auf enge Kooperation mit den Briten setzten, wie auch mächtige Grundbesitzer, die sich mit dem herrschenden System der Kolonialverwaltung arrangiert hatten – gingen die Boykottmaßnahmen des passiven Widerstands zu weit; anderen, vor allem Vertretern einer jüngeren Generation wie z.B. Jawaharlal Nehru und Chandra Bose, die einen ideologisch fundierten Anti-Imperialismus vertraten und sozialistische Programme verkündeten, forderten ungeduldig einen radikaleren Kurs und konnten oft nur mühsam in die Politik der Mehrheit eingebunden werden. Dementsprechend kam es gelegentlich zu Abspaltungen und Parteineugründungen. 1923 beteiligte sich eine Gruppe gemäßigter Kongreßmitglieder mit Motilal Nehru, dem Vater des radikalen Jawaharlal an der Spitze, trotz Gandhis Boykottaufruf an den allgemeinen Wahlen zur Legislative der britischen Zentralregierung, und zehn Jahre später gründete der linke Flügel die Congress Socialist Party.
    Mehr noch als durch politische und soziale Differenzen wurde der nationale Alleinvertretungsanspruch des Kongresses durch religiöse Antagonismen und zwar speziell durch den Hindu-Moslem Gegensatz in Frage gestellt, der während des Ersten Weltkrieges nur vorübergehend beigelegt worden war. Als der Kongreß seine Forderung nach swaraj erhob, formulierte die Moslem-Liga 1924 ihre Bedingungen für die künftige Verfassung eines selbständigen Indiens. Um ihre Rechte als Minderheit gewahrt zu sehen, forderten die Moslems im Rahmen einer politischen Föderation weitgehende Autonomie für diejenigen Provinzen, in denen sie die Bevölkerungsmehrheit stellten und darüber hinaus eine garantierte Zahl von Mindestsitzen in allen demokratischen Gremien des Landes. Manche gingen noch weiter und erhoben bereits 1930 die Forderung nach einem separaten autonomen Muslim-Staat im Nordwesten Indiens. Schon wurde der Name Pakistan ins Spiel gebracht als ein Wort, das sich aus den Anfangsbuchstaben der Provinzen Pandschab, Afghanistan, Kaschmir, Sind und dem Ende des Namens der Provinz Balutschistan zusammensetzt. Noch war es allerdings nicht soweit, daß der Islam als Basis einer eigenen Nationalität begriffen und verkündet wurde.
    Außerdem sahen sich die Herrscher der zahlreichen indischen Fürstentümer durch den Anspruch des Kongresses auf ein allgemeines nationales Mandat wie auch durch dessen demokratisches Programm in ihrer Existenz bedroht. Sie waren daher zu natürlichen Verbündeten der britischen

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