Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)
seines überseeischen Empire gebildet hatten.
7. ZWISCHENBILANZ I
1607 war mit Virginia die erste englische Siedlungskolonie in der nordamerikanischen Küstenregion gegründet worden; 176 Jahre später sah sich Großbritannien gezwungen, seine dreizehn amerikanischen Kolonien in die Unabhängigkeit zu entlassen. Damit markierte das Jahr 1783 einen tiefen Einschnitt in der Geschichte des britischen Empire, eine Krise, die vielfach als das Ende des ersten bzw. älteren Empire bezeichnet wird. Denn spätestens nach der Mitte des 18. Jahrhunderts, d.h. in einer Zeit, als sich Großbritannien verstärkt der Bedeutung seines Empires bewußt wurde und seine überseeischen Interessen mehr und mehr ins Zentrum seiner Politik rückten, galten die nordamerikanischen Siedlungskolonien als der Schwerpunkt dieses Empire. Im allgemeinen politischen Vokabular der Zeit bildeten sie «the British Empire in America», während mit Blick auf Afrika und Asien lediglich von «British establishments» oder «settlements» die Rede war.[ 26 ]
Dieses Empire war nun unwiederbringlich verloren, denn nach dem Friedensschluß von Paris fanden sich in England keine Stimmen von politischem Gewicht, die ernsthaft die Forderung nach Wiederherstellung der britischen Herrschaft über die abtrünnigen Gebiete erhoben hätten. Und somit endet 1783 die Geschichte der englischen Siedlungskolonien in Amerika, und es beginnt spätestens hier die Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika.
Auf den ersten Blick erscheint es paradox, daß gerade diejenigen Kolonien sich gegen England auflehnten, die durch ihre Tradition, ihre politischen und sozialen Strukturen und ihre Kultur die engsten Verbindungen zum Mutterland besaßen, während hingegen das erst kürzlich unter britische Herrschaft gelangte ehemals französische Kanada keinen Versuch unternahm, um die günstige Gelegenheit zu nutzen, gegen die neue, fremde Kolonialherrschaft zu rebellieren. Und es waren auch noch nicht die ‹Amerikaner›, die sich gegen England erhoben, sondern – ihrem eigenen Verständnis nach – Engländer, denen es verwehrt wurde, ihre Rechte als Engländer wahrzunehmen. Erst durch ihren Widerstand, erst im Kampf gegen England wurden die Kolonisten zu Amerikanern. Dabei bildete die Berufung auf englische Werte und englische Tradition die Basis des neuen, gegen England gerichteten amerikanischen Nationalbewußtseins. Und so war es letztlich keineswegs paradox, daß gerade die englischen Siedlungskolonien gegen das englische Mutterland opponierten und dessen Empire sprengten. Denn während durch die Revolutionen des 17. Jahrhunderts die Freiheit der Bürger in England durch politische Mitbestimmung gefestigt worden war, sollte dieses Recht den Untertanen der britischen Krone jenseits des Atlantik vorenthalten bleiben. Als sich im 18. Jahrhundert für die britische Politik die Frage stellte, ob die Herrschaft im Empire auf der Grundlage prinzipieller Gleichheit oder nach dem Muster einer hierarchischen Ordnung organisiert werden sollte, entschied man sich in London für letzteres. Die amerikanischen Siedlungskolonien als Frucht der Ausbreitung Englands bildeten somit das Zentrum eines Empire, das nun in zwei Teile zerfiel, in zwei Bereiche unterschiedlichen politischen Rechts, von denen der eine den Anspruch erhob, über den anderen zu herrschen. Nicht an den praktischen Auswirkungen des auf das Mutterland hin ausgerichteten merkantilen Systems scheiterte das Empire, sondern an diesem inneren Widerspruch, aus dem heraus sich im Widerstand der Amerikaner die Geschichte und die politische Kultur Englands gegen die gegenwärtige imperiale Realität stellten. Und erst als man ihnen die historischen Rechte der Engländer verweigerte, gründeten die Amerikaner ihren Widerstand schließlich auf die Maximen des revolutionären Naturrechts, wie sie in der Eingangsformel ihrer Unabhängigkeitserklärung formuliert waren.
Darüber hinaus war der Geist des amerikanischen Protestes aus einer Tradition des Widerstands gespeist, die bis in die Anfänge des Empire zurückreicht. Waren doch die Neuengland-Kolonien in Opposition zum Mutterland gegründet worden, in dem Bestreben, dem alten England ein besseres neues England entgegenzusetzen. Vor allem war es Massachusetts, das immer wieder in Gegensatz zur Politik Londons geriet und das deshalb dann auch zur Speerspitze der amerikanischen Revolution wurde.
Nun hatte es sich bereits vor dem Ausbruch der eigentlichen
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