Das Buch aus Blut und Schatten
wo ich hingehen würde. Nein, da dies ein vollständiger Bericht meiner Verfehlungen sein soll, gebe ich hiermit zu, dass ich Thomas alles anvertraut habe, während wir im Laboratorium standen und unsere Gesichter vom Licht der Kerzen erhellt wurden. Er hatte sich seit zwei Wochen mit den Formeln unseres Vaters abgemüht und vom ersten zaghaften Licht des Mondes bis zur Wiederkehr der Sonne gearbeitet und jetzt blieb ich an seiner Seite und schlief nur in jenen kurzen Stunden, bevor mich die Last des Tages wieder ins Leben zurückrief. Seine und meine Aufmerksamkeit war nur auf unsere Arbeit gerichtet, auf die Sublimation, Solvation, Putrefaktion und Destillation, und die brodelnden Flüssigkeiten, die sich wie von Zauberhand aus seinen behutsamen Verrichtungen ergaben. Bis zur letzten Nacht sprachen wir von nichts anderem als den Elementen und deren Mischungen und ich blieb stumm, während Thomas mir Geschichten von alchemistischen GroÃtaten erzählte, über die Magier, die die Geheimnisse der Natur plünderten und sich Elixier um Elixier Gott näherten.
In jener letzten Nacht konnte ich es nicht länger ertragen. Ich gestand ihm, welche Rolle die Formel spielte, mit der wir uns abmühten. Ich gestand ihm, dass er sich, ohne es zu wissen, uns angeschlossen hatte bei der Suche nach der gröÃten Herrlichkeit von allem . Lumen Dei, das waren die Worte auf seinen Lippen, als die chemische Hochzeit Früchte trug und unser Elixier geboren wurde, als hätte das Wissen um unser Ziel und der verzweifelte Wunsch, es zu erreichen, uns dorthin getragen.
Bruder, wenn ein Geheimnis erst einmal enthüllt ist, kann man es nicht mehr zurücknehmen. Es gibt kein Nichtwissen, eine traurige Wahrheit, die Du bald schon verstehen wirst. Und so schloss sich Thomas mir an und ich war nicht länger allein.
Groot, aus Gründen, die er mir nicht nennen wollte, wurde innerhalb des Jüdischen Viertels nicht geduldet, doch er sorgte dafür, dass ich Zutritt bekam, und bot seinen Diener als Begleitung an. Václavs Anblick ängstigte mich noch immer so wie beim ersten Mal und ich hätte lieber den Golem genommen. Stattdessen nahm ich Thomas mit. Groot arrangierte ein Gespräch mit dem groÃen Rabbi, doch es gab gewisse Umstände, so teilte er mir mit, die sich nicht vermeiden lieÃen.
Als die ersten drei Sterne am Himmel erschienen, traf ich mich mit Thomas hinter der Kirche St. Nikolaus. Er lachte, als er mich sah. Ich fürchte, dass ich daraufhin errötete.
Er schüttelte den Kopf.
â Vielleicht solltet Ihr mich allein gehen lassen, denn das hier wird nicht gelingen.
â Sehe ich denn so furchtbar aus?
Ich führte die Hand zu dem Barett, das mir vom Kopf zu rutschen drohte und meine widerspenstigen Locken verbarg. Das Beinkleid fühlte sich steif und rau auf meiner Haut an. Vaters Rock, der mir viel zu groà war, roch immer noch nach ihm.
â Ihr seht schön aus.
Und jetzt errötete er.
â Zu schön für diese Aufgabe, meine ich. Niemand mit Augen im Kopf würde Euch für einen Jungen halten.
â Niemand mit Augen im Kopf würde glauben, ich sei schön, doch scheine ich Euch getäuscht zu haben.
Sie hat es ihm so leicht gemacht, dachte ich. Ein paar Komplimente, ein paar Gespräche bei Kerzenschein und schon war sie bereit, alles zu verraten. War sie so einsam, fragte ich mich, so verzweifelt, jemanden zu finden, der sie als Gleichgestellte behandelte, ihren Geheimnissen zuhörte, die Leere füllte, die ihr Bruder hinterlassen hatte? Oder war sie einfach nur verliebt, obwohl ihr das noch gar nicht bewusst war?
Verzweifelt oder glücklich? Das war ein Unterschied.
Der Rabbi weigerte sich, mit einem Mädchen zu sprechen, und so tat ich, was getan werden musste. Wir wagten uns am Tor vorbei, Schulter an Schulter, zwei junge Männer, der eine mit strohblonden Haaren, tanzenden Augen und einem schiefen Lächeln, der andere in einen viel zu groÃen Rock gehüllt, mit einem albernen Barett auf dem Kopf, von dürrer Gestalt und mit feinen Gesichtszügen und vielleicht, zum ersten Mal seit seiner sorglosen Kindheit, schön.
Ein Lied lag in der Luft, fremd und betörend, und die dunklen Häuser starrten misstrauisch auf uns herunter, während wir an ihnen vorbeigingen, als wüssten selbst die Steine, dass wir nicht hierhergehörten. Die Synagoge war niedrig und finster, mit kühlen, erdigen
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