Das Buch aus Blut und Schatten
den Goldenen Löwen erreicht.
Max ging vor dem Hostel auf und ab, er war stocksauer. Adriane saà auf dem Boden, mit dem Rücken an die Hauswand gelehnt, das Kinn auf der Brust, und schlief tief und fest. »Wo zum Teufel bist du gewesen? Ist alles in Ordnung mit dir?«
»Natürlich ist alles in Ordnung mit mir.« Ich legte die Arme um ihn. Sein Körper war steif und verkrampft und nach einem Moment lieà ich ihn wieder los. »Es tut mir leid, wenn du dir Sorgen gemacht hast.«
»âºSorgen gemachtâ¹? âºSorgen gemacht?!â¹Â«
»Jetzt brüll doch nicht so rum.«
»Du bist mitten in der Nacht verschwunden â mit ihm â, ohne Nachricht, ohne Erklärung, ohne Möglichkeit, dich zu finden, und es tut dir leid, wenn ich mir Sorgen gemacht habe?«
»Du bist doch zuerst gegangen«, erwiderte ich.
Plötzlich hob Adriane, die gar nicht schlief, den Kopf. »Ich bin froh, dass es dir gut geht«, sagte sie mit erstickter Stimme. Als Licht auf ihr Gesicht fiel, konnte ich ihr ansehen, dass sie geweint hatte. Und das erinnerte mich daran, warum Max ohne mich das Hostel verlassen hatte.
Ich wusste nicht, was der Auslöser für Adrianes Zusammenbruch gewesen war. Aber sie hatte sich nicht mehr verstellt und endlich zugegeben, dass etwas unter der Oberfläche brodelte. Sie hatte sich so allein und niedergeschlagen gefühlt, dass sie zu mir gekommen war, weil ich ihr versprochen hatte â in einem Zug, der durch die Nacht fuhr â, dass ich für sie da sein würde, wenn es so weit war.
Aber ich war nicht da gewesen.
Und als ich die Nachricht gefunden hatte, hatte ich nicht an sie gedacht. Ich hatte nicht nach ihr gesucht oder darauf gewartet, bis sie zurückkam. Ich war einfach mit Eli abgehauen, als wäre diese ganze albtraumhafte Schnitzeljagd tatsächlich nur ein Spiel, ein Wettbewerb zwischen uns. Oder, wichtiger noch, als wäre das Ganze meine Sache â mein Problem, das ich lösen musste, mein Puzzle, das ich zusammensetzen musste, sozusagen mein Kreuz, das ich tragen musste. Nicht, weil ich etwas Besonderes war oder in gröÃerer Gefahr schwebte als Max und Adriane oder weil ich mehr trauerte. Sondern, weil ich a coelo usque ad centrum am schnellsten übersetzen konnte.
Das hier war nicht nur meine Sache, dachte ich, und beschloss, dass ich es diesmal nicht wieder vergessen würde. Chris hatte uns allen gehört. Und für den Fall, dass jemand nicht mehreren gehören konnte, wenn man jemanden nur ganz besitzen konnte, hatte Chris letztendlich ihr gehört.
»Alles okay mit dir?«, fragte ich Adriane.
Sie stand auf. »Ich geh jetzt ins Bett.«
»Adrianeâ¦Â«
»Danke, Max«, sagte sie mit einer Zärtlichkeit in der Stimme, die ich bei ihr schon lange nicht mehr gehört hatte. Dann wandte sie sich ab und ging hinein.
»Willst du mir nicht endlich mal sagen, wo ihr gewesen seid?«, fragte Max mit einem Blick auf Eli. »Und warum du sie mitgeschleppt hast?«
»Du glaubst, ich hätte sie mitgeschleppt? Nora, würdest du ihm bitte erklärenâ¦Â«
»Ist wirklich alles in Ordnung mit ihr?«, fragte ich. Eli schüttelte angewidert den Kopf, dann lieà er uns allein.
»Adriane gehtâs gut«, erwiderte Max. Inzwischen klang seine Stimme schon nicht mehr ganz so wütend. »Sie brauchte nur jemanden, mit dem sie reden konnte. Also haben wir geredet.«
»Warum hast du mich nicht geweckt?«
»Ich dachte, du bräuchtest den Schlaf.«
»Du solltest mich eigentlich besser kennen.«
Max zögerte. »Wenn duâs genau wissen willstâ¦Â«
Ich wartete.
»Sie wollte nicht, dass ich dich wecke.«
»Oh.«
»Ich glaube, als sie vor unserem Zimmer stand, ist sie irgendwie in Panik geraten. Sie wollte mit jemandem reden, aber dann doch wieder nicht, und da du geschlafen hast, hat sie mit mir geredet. Nora, sie hat Angst. Sie hat mehr Angst, als sie zugibt.«
»Vorm Reden?«
»Vor allem.«
»Aber mit dir hat sie geredet«, stellte ich fest.
»Ich konnte sie nicht davon abhalten, das Hostel zu verlassen. Und sie konnte mich nicht davon abhalten mitzugehen. Also bin ich ihr gefolgt â und ich habe dich nicht geweckt, weil dazu keine Zeit mehr war.«
»Sie hat mit dir geredet«, wiederholte ich, obwohl ich genau wusste, dass Eifersucht nicht die angebrachte Antwort war. Ich war mir nicht mal
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