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Das Buch aus Blut und Schatten

Das Buch aus Blut und Schatten

Titel: Das Buch aus Blut und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Wasserman
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Großvater ist noch immer der Aufseher der Kunstkammer. Hilf mir noch einmal, bat ich Don Julius, so wie früher, als wir Kinder waren. Wir redeten nicht über den Unterschied zwischen jetzt und damals oder die Abwesenheit eines Bruders, der mich vor seinen neugierigen Händen hätte bewahren können, doch einige Wahrheiten braucht man nicht auszusprechen.
    Der Hrad č any sieht inzwischen völlig anders aus. Rudolf hat ihn zu einer Stadt in der Stadt gemacht und überall sind Männer zu sehen, die Steine durch die Gegend schleppen und Skulpturen meißeln, die ein Denkmal nach dem anderen für die Herrschaft der Habsburger errichten. Es ist wohlbekannt, dass der Kaiser es vorzieht, in seinen Räumen zu bleiben, wann immer das möglich ist, und er hat das Schloss so gebaut, dass es unzählige Schlupfwinkel für seinen Wahn bietet, mit mehr verstecken Korridoren und Geheimgängen, als wir uns als Kinder hätten träumen lassen. Don Julius legte seine fette, feuchte Hand um meine, als er uns zum geheimen Herzen des Schlosses führte, Thomas wenige Schritte hinter uns. Seine Gegenwart duldete der verrückte Prinz nur, weil ich mich dazu herabgelassen hatte, ihn darum zu bitten.
    Die Kunstkammer ist jetzt in einem langen Korridor untergebracht, der die Wohnräume des Kaisers mit der Spanischen Halle verbindet. Unzählige Porträts Rudolfs in leuchtenden Ölfarben starrten uns von den Wänden und von der Decke herab an. Wir gingen an Gemälden böhmischer Landschaften und spanischer Häfen vorbei, an Bildern von Bergen und Wüsten und Schüsseln mit Obst, doch am eindrücklichsten im Gedächtnis geblieben sind mir die vielen Gesichter des Kaisers, mit seinen schrägen Augenbrauen, seinem schwarzen Bart, den Wangen, die bis auf den Kragen hängen, so rosa und fleischig wie bei einem Schwein. Seit unseren Abenteuern vor vielen Jahren waren seine Sammlungen erheblich größer geworden und Don Julius führte uns an Schaukästen vorbei, die unzählige Exponate und Kuriositäten enthielten: Uhren, ledergebundene Folianten von Agrippinus, Boethius, Dee, Croll, Paracelsus, Porta, ja sogar unserem in Ungnade gefallenen Vater, die Kinnlade einer Sirene, das Horn eines Einhorns, Statuen griechischer Götter, die obszöne Bewegungen vollführten, Krokodilschädel, Krüge aus Silber, Jaspis und Gold, Münzen aus allen vier Ecken der Erde, Schalen aus Muscheln, Becher aus Jade, rubinbesetzte Zepter, Fische mit zwei Köpfen, eine Kreatur aus Wachs mit dem Körper eines Pferdes und dem Kopf eines Löwen, Sternhöhenmesser, Modelle des Sonnensystems, Armillarsphären, genug Musikinstrumente, um die Welt mit Liedern taub zu machen, zwei Nägel von Noahs Arche und ein Kasten mit Messern. Vor Letzterem blieb Don Julius stehen, um die Messer aus der Sammlung seines Vaters zu streicheln, als würde er liebe alte Freunde besuchen: Dieses hier hatte Caesar getötet, jenes einen türkischen Prinzen abgeschlachtet, ein anderes, sein Lieblingsstück, hatte, wie Don Julius behauptete, ein Bauer geschluckt und neun Jahre in seinem Magen mit sich herumgetragen. Jenes Messer liebkoste er; er fuhr sich gerade mit der Klinge über den Hals, als irgendwo eine Tür knarrte und wir Schritte hörten, die sich näherten.
    â€“ Hier hinein!
    Don Julius und ich zwängten uns zwischen zwei Schaukästen, während sich Thomas in einer ähnlichen Nische an der gegenüberliegenden Wand versteckte. Der Kaiser kam näher. Don Julius’ Atem glitt über meinen Hals. Eine Hand legte sich auf meinen Mund. Unsere Körper waren sich viel zu nah, und da der Kaiser zugegen war, konnte ich wohl kaum schreien. Kaltes Metall ließ mein Gesicht erstarren. Es war Don Julius, der immer noch das Messer in der Hand hielt. Ich konnte nichts tun, als zuzulassen, dass er wie mit Spinnenbeinen mit dem Messer über meine kribbelnde Haut fuhr, während ich Galle hinunterschluckte und der Kaiser an uns vorbeiging. Nicht einmal Dir vermag ich zu sagen, wie seine Hände ihre finstere Freiheit nutzten.
    Als alles wieder ruhig war, verließen wir unser Versteck, und bevor ich meine Hand zurückhalten konnte, flog sie zu Don Julius’ Wange und hinterließ dort dünne rote Striemen auf der vernarbten Haut. Thomas wollte sich auf ihn stürzen, doch ich hielt ihn mit zwei Worten auf: Vergesst nicht. Don Julius konnte den Kaiser

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