Das Buch aus Blut und Schatten
einem Flüstern. Nein, es war nicht einmal ein Flüstern. Meine Lippen berührten die seinen, die Worte schlüpften direkt aus meinem Mund in seinen. »âºIch liebe dich.â¹ Nora Kane.«
37 E. J. Weston, an den beharrlichen John Fr. Weston
Mir fällt ein, dass ich Dir bis jetzt nicht viel erzählt habe über Groot, dessen Schatten auf meine Tage gefallen ist. Du hast sicher schon Geschichten über ihn gehört, über seine mechanischen Kreaturen und die sonderbaren Apparate, die er erdacht hat, Maschinen, die einen Menschen unter das Meer tragen oder aus dem Winter einen Sommer machen. Prag hat keinen Mangel an Zauberern, doch ich werde immer der Meinung sein, dass Groot zu den gröÃten dieser Zunft zählt.
Er konnte grausam sein und meist war Václav der Leidtragende. Der seltsame Diener stammt aus einer alten tschechischen Familie, die früher einmal ein mächtiges Mitglied der böhmischen Reichsstände war, aber nach dem Aufstand der Hussiten die meisten ihrer Mitglieder und sämtlichen Einfluss verloren hat. Fast alle aus seiner Familie dienen jetzt bei Hofe, doch Václavs wüsten Verwünschungen nach zu urteilen, würde er wohl eher in einem Meer aus Pisse ertrinken, als dem Kaiser zu dienen.
Ich weiÃ, Du bist der Meinung, es zieme sich nicht für eine Dame, solche Gedanken zu haben, doch dies sind seine Worte, nicht meine.
Ich wusste nicht, welches Band Groot und Václav miteinander verbindet, doch ein solches gibt es, seit fast zwanzig Jahren, denn trotz Groots Wutanfällen angesichts der Ungeschicklichkeit seines Dieners und dessen Ãhnlichkeit mit einem Wildschwein und trotz Václavs mürrischer Laune und der vielen, von ihm zu Boden geworfenen empfindlichen Apparaturen, behauptete Groot stets, Václav sei unentbehrlich.
Groot mühte sich viele Jahre ab, um eine geheime Sehnsucht zu erfüllen, die Vereinigung von Natur und künstlich Geschaffenem, die Erweckung seiner Maschinen mit dem Funken des Lebens. Mit der Schöpfung, so sagte er oft zu mir, kommen wir der Göttlichkeit am nächsten. Doch das Scheitern war ihm ein treuer, äuÃerst anhänglicher Freund. Ich empfand kein Mitleid für ihn, früher, doch nun, da ich selbst die Bürde spüre, die auf ihm lastete, verstehe ich, warum er sie mit solcher Bitterkeit getragen hat.
Du wunderst Dich vielleicht, warum ich Dir in diesen schlaflosen Tagen nichts von meinem anderen Leben berichte, von den Streitereien mit unserer Mutter und dem vergeblichen Kampf, unsere Besitztümer vom Kaiser zurückzubekommen und in der endlosen Zeit dazwischen für ein Dach über uns mit Essen darunter zu sorgen. Ich werde dir nichts von der beständigen Fürsorge des Johannes Leo berichten, des Mannes, den Du schon bald Bruder nennen wirst und der, so unmöglich es auch scheint, schon bald mein Gemahl sein wird. Und ich werde dir auch nichts von meinen Gedichten berichten, die mir jetzt wieder wie das einzige Licht und die einzige Wahrheit in einem dunklen Leben vorkommen.
Das Leben ging weiter, so wie immer, doch mit jedem Tag verlor es an Farbe und Bedeutung. Ich hatte Pflichten zu erfüllen, eine unserer Mutter und unserer Familie und eine zweite unserem verstorbenen Vater gegenüber, doch mit jedem Tag wurde es schwieriger, die beiden miteinander zu vereinen. Es war, als würden zwei Personen in meinem Körper stecken, und je gröÃer die eine wurde, desto mehr wich die andere zurück, bis unsere Mutter, unsere Armut, selbst Du, liebster Bruder, so sehr ich mich auch schäme, das zuzugeben, in weite Ferne rückten. Das Leben konzentrierte sich auf das Lumen Dei und so, ohne auch nur einen Gedanken an Anstand oder Angst zu verschwenden, sattelte ich ein Pferd und machte mich auf, zusammen mit einem Mann, der weder mein Gemahl noch mein Blutsverwandter war.
Bis nach Graz war es ein Ritt von zehn Tagen. Die meisten Nächte verbrachten wir unter freiem Himmel, unsere Pferde an einen Baum gebunden, unsere Hände ineinander verschlungen, unsere Gedanken ineinander versunken. Ich kann Dein Missfallen spüren. Aber ich habe Dir die Wahrheit versprochen. In dieser abgeschiedenen Gegend gab es für mich nur eine Wahrheit, und das war die Lüge, die wir allen erzählten, denen wir begegneten, die Lüge, die wir uns selbst erzählten, die Lüge, die wahr wurde, wenn nicht auf Erden, so doch im Geiste, die Lüge von Thomas und
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