Das Buch aus Blut und Schatten
Elizabeth, Mann und Frau.
Du hast mir Briefe geschrieben, die Johannes Keplers kühne Gedankengebilde priesen, die von der Schönheit berichteten, die Du im Mysterium Cosmographicum und seiner Vision des Universums mit all seinen göttlichen Sphären gefunden hast und die davon schwärmten, dass neben Kopernikus und Ptolemäus ein weiterer Stern am Firmament aufgegangen sei. Ãberrascht es Dich zu erfahren, dass ich, als ich vor einem kleinen, schiefen Haus in der kleinen, schiefen Stadt Graz vom Pferd stieg, gewahr wurde, wie Dein strahlender neuer Stern heftig schwitzend Wasser aus einem Brunnen holte, das aber wohl nicht schnell genug für seine keifende Alte? Der groÃe Mann, nur wenig älter als Du, hieà uns willkommen, als wir ihm den Brief von Groots Hand präsentierten, eine Seite aus Pergament, auf der er Kepler versicherte, nur er besäÃe das Können, um unser Schicksal in den Sternen zu lesen und den günstigsten astronomischen Moment für den Betrieb unserer Maschine zu bestimmen. Das Lumen Dei existiert in dieser und der jenseitigen Welt. Es vereint den Spiritus und das Körperliche, dies aber nur, wenn die Gestirne in der richtigen Konstellation sind. Dafür brauchten wir Kepler.
â Astrologie, der gröÃte Teil der Astrologie, ist natürlich Dummheit und Blasphemie; das wisst Ihr sicher schon.
Keplers dunkle Haare waren lockiger als die meinen, sein Gesicht von Kratern überzogen wie der Mond, und während er mit uns sprach, scharwenzelte seine Frau um uns herum, verlangte mal einen Topf, mal einen Schuh, den gröÃten Teil seiner Aufmerksamkeit, dann die gesamte, doch warum sie diese wollte, war mir unerklärlich angesichts des bereitwillig zur Schau gestellten Hasses zwischen ihnen. Er sei seit fast einem Jahr verheiratet, vertraute er uns an, das unausgesprochene Bedauern in seiner Stimme nur allzu deutlich. Da versprach ich mir insgeheim, dass es zwischen Thomas und mir nie so weit kommen würde, und in Thomasâ Augen sah ich den gleichen Schwur.
â Ich schmähe die Astrologen, nicht ihr Unterfangen. Aus diesem verfaulten Haufen aus Maden und Dung vermag es eine sichere Hand zuweilen, eine Perle zu ziehen.
Er brauchte nicht zu erklären, dass diese Hand die seine war.
Nichtsdestotrotz erklärte er in aller Ausführlichkeit, warum seine Studien der Sterne die seiner Konkurrenten bei Weitem übertrafen, eine Wahrheit, die sich bald schon auf dem gesamten Kontinent verbreiten würde. Doch dann verwandelte sich das, was mit Leichtigkeit zu einer unerträglichen Prahlerei hätte werden können, vor unseren Ohren zu der dringenden Bitte, Kunde von seinen Studien nach Prag zu tragen. Hatten wir das Vertrauen des Kaisers, so wollte er wissen, oder das Vertrauen von Hájek, von irgendjemandem, der ihn retten konnte aus der Hölle, die Graz für ihn war â die Kampagne des Erzbischofs gegen die Lutheraner, sein keifendes Weib, seine schlechte Gesundheit, die drohende Armut. Als wären wir keine Fremden, sondern seine Busenfreunde, gestand er uns, dass bald alles verloren sein würde, durch seine eigene Schwäche, seine eigenen Fehler, wenn er nicht jemanden vom Wert seiner Ideen überzeugen konnte. Und an dieser Stelle änderte er erneut seine Rede und fuhr nun wieder fort, sein eigenes Lob für seine Arbeit zu singen, die, wie er sagte, alles überragte, was vor ihm gekommen war.
SchlieÃlich setzte uns Kepler eine Schale warmer Brühe vor und zog sich in sein kleines Studierzimmer zurück, wo er, wie er uns freudig verkündete, in den Misthaufen greifen und eine Perle herausholen würde. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit kam er wieder, die Haare so wild wie sein Blick, die Wangen gerötet, die Finger fleckig vor Tinte. In der Hand hielt er einige Seiten, von denen er mir eine reichte.
â Ihr habt mein Buch gelesen?
Ich bejahte.
â Dann versteht Ihr.
Ich brauchte nicht zu fragen, was ich denn verstehen sollte, denn er fuhr fort.
â Sie fragen, wie das Universum aussieht, die Philosophen, die Mathematiker, und zeichnen hübsche Bilder, Unmöglichkeiten auf die Seite. Sie retten das Phänomen, indem sie eine hässliche Lüge nach der anderen erzählen, Epizykel um Epizykel, was die Dummköpfe aber nicht kümmert. Ich sage Euch, es ist nicht genug zu fragen, wie der Kosmos aufgebaut ist. Wir müssen nach dem Warum fragen. Denn wenn wir Seine
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