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Das Buch aus Blut und Schatten

Das Buch aus Blut und Schatten

Titel: Das Buch aus Blut und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Wasserman
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Privates.«
    Â»Sie hat mir erzählt, wie furchtbar es ist, dass sie sich nicht erinnern kann. Dass sie es nicht aushält, dieses Riesenloch in ihrer Erinnerung zu haben – dass alles Mögliche passiert sein könnte. Dass sie sich schon so leer fühlt, weil Chris nicht mehr da ist, aber dass es sich so anfühlen würde, als wäre auch noch ein Stück von ihr selbst nicht mehr da. Dann hat sie geweint und ich hab versucht, sie zu trösten, ich hab ihr gesagt, dass alles wieder in Ordnung kommen wird – aber sie wird nie wieder in Ordnung sein. Nicht ganz. Und weißt du, was ich gefühlt habe? Ich war erleichtert. Ich bin froh , dass ihr das passiert ist. Weil…« – er schluckte wieder, die Augen hinter den Brillengläsern weit aufgerissen – »weil ich es nicht ertragen könnte. Wenn es dir passiert wäre.«
    Â»Das ist es?«, flüsterte ich. »Das wolltest du mir sagen?«
    Â»Chris war mein bester Freund. Du musst das verstehen. Aber…«
    Â»Aber du bist erleichtert, dass sie nicht dich getötet haben. Natürlich bist du erleichtert. Das ist doch ganz normal.«
    Â»Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass du mich verlierst, so wie Adriane Chris verloren hat. Oder dass dir etwas passiert und ich derjenige bin, der…« Er schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht. Und deshalb bin ich froh. Ich bin froh , weil sie es sind und nicht wir. So krank bin ich. Jedes Mal, wenn ich sie ansehe, denke ich: Gott sei Dank. Sie ist gebrochen und ich bin dankbar . Weil du und ich noch ganz sind. Wir sind unversehrt.«
    Â»Max…« Ich schlang meine Arme um ihn. »Schon okay.«
    Â»Nichts ist okay.« Er vergrub sein Gesicht an meiner Schulter. »Ich sollte nicht so froh darüber sein.«
    Â»Es ist okay. Ich verspreche es dir.« Ich zog seinen Kopf zu mir und küsste ihn, so wie ich ihn das erste Mal geküsst hatte, auf der Empore der Kirche, mit zögernden Lippen, ineinander verschlungenen Fingern und klopfendem Herzen, und ließ alles los, Zweifel, Wut, Eifersucht, Angst. Ich küsste ihn und ließ mich mit ihm zusammen auf das Bett fallen. Unsere Körper fanden sich und für einen Moment vergaßen wir alles. Es gab nur noch warme Haut, heißen Atem, weiche Lippen, Liebe, Begehren.
    Und für diesen einen Moment war es so, als wären wir tatsächlich ganz geblieben.
    39 Das Abendessen war Max’ Idee gewesen. Hinterher schien das wichtig zu sein. Aber niemand von uns hatte protestiert, also war es vielleicht doch nicht wichtig. Der nächste Flug ging erst am folgenden Morgen und es gab keinen Grund, den Rest unseres Bargelds zu behalten, keinen Zweifel, dass dies für lange Zeit die letzte Gelegenheit sein würde, um für einen Abend so zu tun, als wäre das Leben schön, als wären wir glücklich, als wäre die Zukunft klar, und es gab keine Entschuldigung, nicht zu essen. Er war anders, jetzt, nachdem er endlich alles herausgelassen hatte. Er hatte eine Leichtigkeit an sich, die ansteckend war. Es war nicht so, dass wir über das Kopfsteinpflaster getanzt wären oder in den nebelverhangenen, verregneten Gassen gesungen hätten. Aber es war das erste Mal, dass wir uns ohne Ziel und ohne Angst in die Stadt gewagt hatten, das erste Mal, dass wir durch die Straßen gegangen waren, ohne durch sie hindurchzusehen, als könnten wir ihre Geister dazu bringen, sich uns zu zeigen, wenn wir nur lange genug hinstarrten. Eine Nacht lang war Prag kein Hort von Geheimnissen mehr. Uns war nichts passiert, sagten wir uns, und deshalb würde uns vielleicht nichts mehr passieren. Wir erfanden etwas, an das wir glauben konnten: dass wir entkommen waren. Dass wir für eine Nacht unsichtbar waren.
    Es war leichtsinnig, aber vielleicht nicht leichtsinniger als alles andere, was wir getan hatten. Wir durften leichtsinnig sein, weil es unser letzter Abend war und weil am nächsten Morgen alles zu Ende sein würde. Morgen würde uns die Polizei finden und bald danach vielleicht auch die Hleda č i . Und dann würde eben passieren, was passieren musste. Ich wollte mich nicht für den Rest meines Lebens verstecken. Die Stadt war hell erleuchtet, es wimmelte nur so von Touristen, Betrunkenen und Liebespaaren, über deren Köpfen die Schneewittchentürme funkelten. Ihre Schatten blieben, wir ignorierten sie. Was konnte uns in Disneyland schon passieren?
    Es war Max, der

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