Das Buch aus Blut und Schatten
jemand ein Verfahren entwickeln würde, mit dem man das Programm auf das Leben anwenden konnte.
»Stell dir mal vor, wie es wäre, nie wieder zurückzugehen«, sagte Adriane so leise, dass nur ich es hören konnte.
»Für immer hier bleiben?«
»Es fühlt sich so an, als wäre hier alles, was existiert.«
Ich wusste, was sie meinte. Chapman mit seinen kleinen Häusern, seiner kleinen Einwohnerzahl, seinen kleinen Ansprüchen wirkte wie etwas, über das ich mal gelesen hatte, das ich aber nicht richtig geglaubt hatte. Das einzige Stück Heimat, das jetzt noch real schien, war Chrisâ Leiche, Chrisâ Blut. Das war jetzt meine Heimat. Das wartete auf mich.
»Glaubst du, du bist anders?«, flüsterte Adriane plötzlich. Die Jungs waren in die Aussicht oder ihre eigenen mitternächtlichen Gedanken versunken.
»Als was?«
»Als vorher.«
»Ich weià nicht. Ich glaube schon.«
Sie fragte nicht, inwiefern. Ich hätte auch nicht gewusst, was ich ihr hätte antworten sollen. Ãngstlicher? Zorniger? Mutiger?
Allein.
»Ich sollte anders sein«, sagte sie.
Ich fragte auch nicht, inwiefern.
»Besser«, meinte sie. »Aber ich bin es nicht.«
Ich fröstelte.
»Gibt es denn gar keine Gentlemen mehr?«, rief Adriane und riss die Jungs damit aus ihrer Starre. »Wie wäre es mit einer Jacke für das frierende Mädchen hier?«
Eli hatte mir seine schon in die Hand gedrückt, bevor Max seine aufgeknöpft hatte. Ich nahm sie mit einem leisen Danke.
»Milady.« Mit einer leichten Verbeugung bot Max seine Jacke Adriane an.
Es war alles irgendwie merkwürdig. Ich wandte den Blick ab und starrte auf das regenglatte Pflaster. Und da sah ich, wie die schwarzen Buckel aus Decken aufstanden.
Keine Decken, keine Bettler, sondern Männer in Mönchskutten, die sich um uns herum erhoben, wie Ungeheuer, die jemand aus dem Schlaf gerissen hatte. Sie kamen von allen Seiten auf uns zu und die glänzenden Klingen ihrer Messer warnten uns davor zu schreien.
Hleda Ä i.
Einer von ihnen zeigte auf mich. »Du kommen freiwillig mit«, sagte er mit rauer Stimme. »Dann deine Freunde leben.«
Es klang, als hätte ich eine Wahl, doch dann wurde mir eine Kutte über den Kopf geworfen. Ich spürte Hände, die mich festhielten. Ein Arm legte sich auf meine Kehle. Er drückte zu, fest, ganz fest. Ich warf den Kopf herum, versuchte einen Stoà in den Bauch, versuchte zu schlagen, zu treten, irgendwas, doch der Arm war wie ein Schraubstock. Meine Arme und Beine begannen zu kribbeln, meine Beine wurden zu Pudding, nutzlos und schwach und dann taub und dann nicht mehr da. Alles war weg bis auf den Druck auf meiner Kehle, die kleinen Sterne hinter meinen Augenlidern und das erstickte Keuchen, mit dem ich den Kampf gegen die Atemnot verlor. Als ich davonschwebte, schrie ich lautlos in die Dunkelheit.
Irgendwo, weit weg, Stimmen, bitte nicht und wir haben, was ihr wollt, und wehr dich nicht und es tut mir leid und lass einfach los und das ist deine Schuld, das hast du jetzt davon, das ist das Ende, aber das war Chrisâ Stimme, dabei war Chris doch tot und ich lag auf dem Boden und warum dauert das so lange, ich wollte nur, dass es aufhört, ich wollte schlafen und Chris wartete auf mich.
»Was zum Teufel?« Es war Adrianes Stimme, deutlich, real, die durch den Nebel zu mir drang. Plötzlich kam wieder Luft in meine Kehle, in meine Lungen und der Druck war weg. Heftig keuchend sog ich sie ein und berauschte mich an dem Sauerstoff. Dann hörte ich einen Schrei und dann ein Platschen und dann nichts mehr. Jemand zog den schweren Stoff von meinem Gesicht. Es war Eli, der die Arme um mich legte und mich hochzerrte.
»Lauf!«, schrie er. »Wir müssen von hier weg!«
Die Kutten flatterten im Wind, als die Männer aus unerklärlichen Gründen vor uns zurückwichen. Aus einiger Entfernung drangen Sirenen zu uns. Der Mann mit der rauen Stimme zeigte wieder auf mich und rief: »Das Schicksal wird dich finden. Du sein vyvolená!«
Adriane packte mich um die Taille und schob ihre Schulter unter meinen Arm, doch inzwischen funktionierten meine Beine wieder und ich lieà mich von ihr wegziehen. Wir rannten über das rutschige Pflaster, über die Brücke, in die Gassen der Malá Strana, in die Sicherheit der Dunkelheit, und erst, als wir unter einem kalten, feuchten Torbogen
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