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Das Buch aus Blut und Schatten

Das Buch aus Blut und Schatten

Titel: Das Buch aus Blut und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Wasserman
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das Restaurant aussuchte, ein Bistro am Wasser. Von der Straße aus mussten wir einen leeren Platz überqueren, dann durch eine schmale Gasse gehen, in der uns kleine, handgemalte Pfeile den Weg zu diesem Außenposten der Zivilisation wiesen.
    Wir aßen auf der Terrasse, unter Funken sprühenden Heizstrahlern, im flackernden Licht von Kerzen, deren Wachs leicht nach Hotelshampoo roch und den Fischgeruch des Flusses verdrängte. Eine niedrige Steinmauer trennte uns von den plätschernden Wellen und auf der anderen Seite des Flusses warf die schimmernde Skyline aus Kirchen goldene Schatten auf das Wasser. Die Karlsbrücke war so nah, dass wir mit den Brötchen auf die dunklen Gestalten hätten werfen können, die über die Moldau gingen. Es gab weiße Tischtücher, Stoffservietten, Kellner in dunklen Anzügen, die uns Wein brachten, ohne Fragen zu stellen, und unsere Bestellung mit einem anerkennenden Nicken aufnahmen.
    Der Himmel über uns war endlos.
    Zuerst sagten wir kaum etwas. Das Restaurant war fast leer und es gab nur wenige Geräusche, die die Fahrstuhlmusik aus den blechern klingenden, fast unsichtbaren Lautsprechern verdrängten. Es gab nur das Klappern von Besteck auf Tellern, Wein, der in Gläser floss, Stuhlbeine, die über den Steinboden kratzten, den Straßenverkehr aus einiger Entfernung, der wie das Meer rauschte, und das unverhoffte Planschen und Quaken einer Entenfamilie, die im Wasser unter uns schwamm und nach Futter tauchte. Doch irgendwann begannen wir zu reden, wobei wir geschickt von einem sicheren Trittstein zum nächsten hüpften und die tückischen Gewässer – die Vergangenheit, die Zukunft, die Gegenwart – vermieden, die dazwischen flossen. Ein Film, der gegen jede Vernunft sowohl Adriane als auch mir gefiel. Elis und Max’ geteilte Abneigung gegen Hockey. Eltern und ihr Glaube daran, dass ihre Sprösslinge Lehmklumpen waren, die sie nach Belieben zu einem hässlichen Topf, einer Vase oder einer Teetasse formen konnten, eine Diskussion, die von Adriane und Eli geführt wurde, während Max unter dem Tisch meine Hand nahm und mit dem Daumen über meine geöffnete Handfläche strich. Ich sah zur Brücke hinüber. Ihre steinernen Wächter waren heiligenförmige Löcher aus schwarzem Nichts vor dem Himmel, Lücken in der Wirklichkeit. Ich stellte mir vor, wie ich ihnen zu nah kam, wie ich in die Leere gesogen wurde. In den Raum dazwischen.
    40 Die Brücke. Auch das war Max’ Idee. Nur einmal, einen kleinen Verdauungsspaziergang nannte er es, lächelnd, wie immer etwas irritiert von seiner Arroganz. Einmal hinüber und gleich wieder zurück, um den Geigenspielern zuzuhören, die an den Lippen zusammengewachsenen Liebespaare zu beobachten und von der berühmtesten Stelle auf dem Stadtplan aus auf das mondbeschienene Prag zu schauen. Der Abschied von einer Stadt, die uns in einem unerwarteten Akt der Nachsicht hatte leben lassen.
    Vielleicht hatten wir zu viel Wein getrunken oder nur ein bisschen zu viel, denn die Nacht hatte uns furchtlos gemacht und daher stimmten wir zu.
    Wir waren lange im Restaurant geblieben, so lange, dass wir zusehen konnten, wie die Kellner zwischen den Tischen den Boden fegten und sich mit Pils betranken. Die Liebespaare und Musiker auf der Brücke waren bis auf wenige Ausnahmen schon zu Bett gegangen. In den dunklen Nischen zwischen den Heiligen fummelten nur noch ein paar Nachzügler aneinander herum und ein einsamer Geigenspieler gab Pachelbels »Kanon« in einer Endlosschleife zum Besten. Buckel aus schmutzigen Wolldecken markierten Reviere auf der Brücke. Der Nebel hatte sich zu einem kühlen Regen verdichtet. Wolken machten die Sterne unsichtbar. Bettler in Rückenlage bildeten ihrerseits Statuen unter den Märtyrern aus Stein und schienen gar nicht zu bemerken, dass sich ihre gepflasterten Betten in Pfützen verwandelten.
    Vermutlich bemerkten sie es doch, dachte ich. Es war ihnen gleichgültig.
    Mitten auf der Brücke blieben wir stehen, lehnten uns an das Geländer und starrten auf das Wasser unten und die Burg oben. Der heilige Johannes von Nepomuk wachte über uns. Für jemanden, den man von der Brücke geworfen hatte, weil er einfach nur seine Arbeit gemacht hatte, war sein Gesichtsausdruck ausgesprochen fröhlich. Auf Max’ Postkarte hatte die Statue viel sauberer ausgesehen. Photoshop. Es wäre schön, wenn mal

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