Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch aus Blut und Schatten

Das Buch aus Blut und Schatten

Titel: Das Buch aus Blut und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Wasserman
Vom Netzwerk:
winkte eine böhmische Königin von ihrem goldenen Thron herunter, Libu š e höchstpersönlich, und sah zu, wie ihre Kriegerinnen das Blut vergossen, das die Geburt der Stadt Prag begleitet hatte. Das war kein Umzug für die Touristen – das waren tschechische Kleinkinder auf den Schultern ihrer tschechischen Väter, die kleine tschechische Fähnchen schwenkten und die vorbeiziehenden tschechischen Kriegerinnen auf Tschechisch anfeuerten. Doch bis auf die nicht vorhandene Zuckerwatte hätte es auch ein x-beliebiger Festumzug an einem x-beliebigen tristen, kalten Tag in New England sein können. Unter optimalen Bedingungen endete so ein Tag mit Kopfschmerzen. Und in meinem Fall vielleicht mit einem Mord. Was immer wahrscheinlicher wurde, als die Menge mich und Eli auseinanderriss und er in dem verschwitzten, brodelnden Meer aus Leuten verschwand.
    Ich sah, wie sich sein Kopf in der Menge auf und ab bewegte, wenige Meter vor mir. »Eli, warte!«, rief ich, während ich versuchte, mich zwischen den Menschen hindurchzuzwängen, und dazu ausgiebig meine Ellbogen benutzte.
    Trotz der Trompeten und der lauten Schlachtrufe hatte er mich irgendwie gehört und drehte sich um – in dem Moment, in dem ein Schlagstock aus Metall auf seinen Kopf niedersauste.
    Â»Eli!«
    Der Schlagstock traf seinen Schädel. Seine Augen weiteten sich, sein Mund zuckte, was fast wie ein Lächeln aussah, als könnte er, ein Experte in solchen Dingen, nicht umhin, die Effizienz des Überfalls zu bewundern. Und dann war er nicht mehr zu sehen. »Hilfe!«, brüllte ich. Meine Stimme klang ganz klein und jämmerlich inmitten der Menge. Ich drängte weiter, sah Eli, um den sich ein Kreis aus besorgten Tschechen bildete, auf dem Boden liegen, sah, dass die Hand, die den Schlagstock hielt, zu einem Mann in einer Polizeiuniform gehörte, einem Mann, der mich entdeckte und wusste, dass ich mich durch seine Verkleidung nicht täuschen ließ. Ich spürte einen stechenden Schmerz an meinem Hinterkopf und obwohl ich immer geglaubt hatte, das sei nur so ein Mythos, sah ich Sterne, grell und glühend, die im Nebel vor meinen Augen tanzten. Und dann sah ich nichts mehr.
    25 Knochen schimmerten weiß im Kerzenlicht. Vorhänge aus Beinknochen, die sich in einer sanften Brise hin und her bewegten, Fingerknochen und Rückenwirbel, die eine Gewölbedecke schmückten, vier pyramidenförmige Säulen aus Totenschädeln, jeder mit einer dicken weißen Kerze im Mund und gelbem Licht, das in den leeren Augenhöhlen flackerte. Knochen, wild durcheinander, vom Boden bis zur Decke gestapelt, eine Wand aus Knochen, bei der die Knochensplitter als Mörtel und Schädel als Ziegelsteine dienten. Ein Kronleuchter aus Knochen, der über mir hing. Ein Mosaik aus Knochen an meinem Kopf, ein Altar aus Knochen zu meinen Füßen. Eine Kirche des Todes und um mich herum, an fünf Punkten, die Herolde des Todes, jeweils einer an meinen ausgestreckten Armen und Beinen und – ich konnte ihn zwar nicht sehen, weil mein Hals festgebunden war, doch ich spürte seine kalte Hand an meiner Wange – einer an meinem Kopf. Die Kapuzen ihrer Kutten waren zurückgeschlagen und enthüllten Gesichter mit hohlen Augen und straff über den Schädel gespannter Haut, als wären auch sie schon tot, als wären sie nichts als Blut und Knochen.
    Mein Kopf tat weh.
    Ich lag auf dem Rücken und war an Händen, Füßen und Hals mit Lederriemen an ein hartes Holzbrett gefesselt, das nur wenige Zentimeter über dem Boden hing. Ich hörte mein Herz schlagen. Die Riemen ließen mir kaum Bewegungsfreiheit, doch ich konnte den Kopf nach links und rechts drehen, sodass ich die Männer um mich herum sah und die Menschenmenge, die sich hinter ihnen versammelt hatte, ganz vorn Max und Adriane. Adriane wurde von zwei Männern in Kutten festgehalten; es dauerte ein, zwei Sekunden, um mich daran zu erinnern, wo ich ihren erstarrten Gesichtsausdruck schon einmal gesehen hatte, doch dann fiel es mir wieder ein: in der Nacht des Mordes. Und danach. In der psychiatrischen Klinik. Auf beiden Seiten von mir stand eine Säule aus Knochen. Die links von mir überragte einen merkwürdigen Apparat aus Holz und Gold, mit Zahnrädern wie bei einem Uhrwerk, umgeben von goldenen Kugeln in Umlaufbahnen wie die Planeten. Um sie herum schlängelten sich Rohre mit kleinen, spiralförmigen

Weitere Kostenlose Bücher