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Das Buch aus Blut und Schatten

Das Buch aus Blut und Schatten

Titel: Das Buch aus Blut und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Wasserman
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wie Galle in mir hochstieg, scharf und sauer. Eli berührte mich an der Schulter.
    Â»Lass es.«
    Â»Nora.«
    Â»Lass es.«
    Max’ Ankunft brachte uns beide zum Schweigen. Er lehnte sich an einen Lastwagen mit Abbildungen von Kartoffeln auf den Seiten, der mit laufendem Motor neben dem Lieferanteneingang stand, und sah auf die Uhr. Dreißig Sekunden später sah er noch einmal auf die Uhr, weitere dreißig Sekunden später schon wieder.
    Meine Muskeln schrien danach, etwas zu tun. Ich wollte aus unserem Versteck hechten und mich auf ihn stürzen, wollte ihn zu Fall bringen, ihn verhören, während mein Knie auf seine Brust drückte oder vielleicht auf seine Eier, wollte ihn zwingen, mir zu sagen, wer er war, wie er den Sturz von der Brücke überlebt hatte, warum Adriane, warum ich. Ob irgendetwas davon irgendetwas bedeutet hatte. Ich könnte ihm natürlich auch die Luftröhre abdrücken, bis es vorbei war.
    So etwas tat man nicht in der echten Welt.
    Aber wir hatten die echte Welt verlassen. In der echten Welt besichtigten wir den Louvre, missachteten das Ausgehverbot und schliefen in Vorträgen über die Französische Revolution ein. In dieser schönen neuen Welt, meiner Welt, gab es keine Grenzen mehr für das, was Menschen einander antaten.
    Elis Hand hielt mein Handgelenk umklammert. Da gab ich auf. Max behielt die Tür im Auge, die sich auch nach fünfzehn Minuten, dreißig Minuten, einer Stunde nicht öffnete. Und irgendwo dahinter saß vermutlich Adriane an einem leeren Tisch mit zwei Gedecken, leerte ihr Glas, wartete auf ihre ahnungslose beste Freundin.
    Sie könnte ich ja auch umbringen, dachte ich. Ich könnte sie im Schlaf ersticken, mit Max’ Jacke auf ihrer Nase und ihrem Mund, aber nicht auf ihren Augen, denn dann würde ich nicht mehr sehen können, wie sie sich erst mit Überraschung füllten, dann Verwirrung, Verstehen, Schuld und Schrecken, bevor sie glasig und schließlich für immer leer wurden.
    Ein Blick, so ausdruckslos und grausam wie die Sonne, dachte ich. Yeats.
    Max wäre stolz auf mich gewesen.
    Mit mir war irgendwas nicht in Ordnung.
    Um zehn war es völlig dunkel und die Lampe über der Tür tauchte Max in orangefarbenes Licht. Adriane kam heraus. Ihre schwarzen Haare schimmerten violett unter dem Licht.
    Â»Sie ist nicht gekommen.«
    Wie süß, dachte ich. Sie hörte sich fast an, als würde sie sich Sorgen machen. Natürlich machte sie sich Sorgen – wegen Max.
    Sie stritten sich. Er sagte zu ihr, dass sie es versprochen hatte, dass sie alles kaputt machte. Er warf ihr vor, mich gewarnt zu haben oder mir zu früh zu viel von der Wahrheit gesagt zu haben. Dann fing sie an zu weinen. Er hielt sie fest, schlang einen Arm um ihre Taille, zog sie zu sich und führte sie, ihren Kopf an seiner Schulter, zum Heck des Lastwagens, wobei er ihr wohl süße Worte ins Ohr flüsterte. Ich machte mich schon auf das unvermeidliche Ende des Vorspiels gefasst.
    Eli hatte den Griff um mein Handgelenk gelockert und ich spürte seine Finger nur noch mit leichtem Druck auf meiner Haut, eher eine Mahnung als eine Warnung.
    Als es passierte, waren wir nicht darauf gefasst.
    Â»Es tut mir leid«, hörte ich Max sagen. »Ich habe keine andere Möglichkeit mehr.«
    Die Türen des Lastwagens flogen auf und eine Horde Hleda č i schwärmte heraus. Adriane verschwand zwischen den Männern, dann kletterten sie wieder in den Lastwagen, so schnell, wie sie herausgekommen waren. Die Türen knallten zu. Die Reifen quietschten. Der Lastwagen fuhr davon, mit Max am Steuer. Sie war weg, so schnell.
    22 Ein Moment. Das war alles.
    Ein Gedanke – nein, nicht einmal ein Gedanke, ein Impuls. Instinktiv und unvollständig.
    Sie zurücklassen.
    Ich könnte mich einfach umdrehen. Ins Restaurant gehen, zu Abend essen, in ein Flugzeug steigen, alles hinter mir lassen.
    Ich könnte eine schöne Geschichte für die Polizei erfinden und die Briefe auf ebay verkaufen. Es waren seltene und mit Sicherheit wertvolle historische Stücke, mit denen ich mir irgendwo weit weg das College finanzieren könnte. Ich könnte meinen Abschluss in irgendetwas Praktischem und Sinnlosem machen, das keine Erinnerungen hervorrief und mich nicht dazu zwang, lange, schweigsame Nachmittage mit mir und meinen Gedanken zusammen in einer muffigen Bibliothek zu verbringen. Rechnungswesen vielleicht

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