Das Buch aus Blut und Schatten

den Traditionalisten und hing einer Theorie an, die die meisten schon längst wieder aufgegeben hatten. Er glaubte, dass das Buch im Besitz des verrückten Alchemisten Edward Kelley gewesen, aber von Roger Bacon, einem im 13. Jahrhundert lebenden Mönch, Philosophen, Gelehrten und Mystiker, verfasst worden war. Die Briefe schienen ihm recht zu geben. Kelley hatte ein Buch erwähnt, geschrieben von Bacon in der Sprache Gottes, und Elizabeth hatte angedeutet, dass er – dank einer Intervention seiner himmlischen Aufseher, eines epileptischen Anfalls oder schlicht einer Begabung für das Beschwindeln leichtgläubiger Gehilfen – den Code entschlüsselt und dessen Geheimnisse ins Lateinische übertragen hatte.
    Jetzt hatten wir den Beweis dafür.
    18 Ein paar Minuten lang glaubten wir, der Hoff würde einen Herzinfarkt bekommen, aber nach einer Weile hatte sein Gesicht wieder eine normale Farbe und er hörte auf, vor sich hinzumurmeln, dass er es allen zeigen und aus diesem Rattenloch rauskommen und in Harvard, wo er hingehörte, sterben würde. Als er uns schließlich wieder zur Kenntnis nahm, verdonnerte er uns sofort zu Sklavenarbeit – das Schläfchen war vorbei. »Wenn wir Tag und Nacht arbeiten, schaffen wir es vielleicht, das Manuskript bis zur nächsten Jahrestagung der American Historical Association vollständig zu übersetzen«, sagte er zu Chris und Max. Als die beiden etwas von Vorlesungen und Hausarbeiten stammelten und meinten, sie hätten ja auch noch ein Privatleben, machte er ein Geräusch wie ein Reifen, aus dem die Luft entweicht. »Wir reden hier über das Streben nach Wissen«, sagte er zu ihnen. »Das könnte die Welt verändern. Das könnte unser Vermächtnis sein. Und Sie machen sich wegen ein paar Multiplikationstabellen Sorgen?«
    Chris räusperte sich. »Genau genommen ist es ja Infinitesimalrechnung in mehreren Variablen und…«
    Â»Völlig sinnlos.« Der Hoff schnaufte heftig. »Junger Mann, da Ihnen ja offenbar niemand die Wahrheit sagt, muss ich das jetzt tun. Ihr Studium ist ein Witz. Den Vorlesungen mangelt es an Qualität und Tiefe, und selbst wenn Sie von den Meistern Athens persönlich lernen würden, glauben Sie wirklich, die Welt braucht noch eine Semesterarbeit über die protofeministische Wut in Macbeth oder die strukturellen Ursachen des Ersten Weltkrieges? Das ist doch nur Beschäftigungstherapie. Es ist ein Riesenschwindel, um Ihnen die Studiengebühren aus der Tasche zu ziehen, für ein Stück Papier, mit dem Sie dann für den Rest Ihres Lebens bei einer Bank oder irgendeinem Unternehmen arbeiten und so tun können, als wären sie ein gebildeter Mann, nur weil Sie mal was von Plato gelesen haben.« Er strich mit den Fingern über Elizabeths geheime Seiten und wies dann in Richtung Tür. »Das da draußen ist ein Faksimile des Wissens. Das hier ist echt. Die Entscheidung liegt natürlich bei Ihnen. Ich gehe davon aus, dass Sie nicht der einzige Student sind, der übersetzen kann, obwohl man das an diesem gottverlassenen Ort natürlich nie wissen kann.«
    Chris sah Hilfe suchend zu Max, der nur Augen für den Hoff hatte. »Wir werden tun, was wir können«, sagte er mit fester Stimme.
    Der Hoff nickte. »Nun zu Ihnen«, sagte er.
    Er meinte mich.
    Â»Sie müssen natürlich zur Schule gehen und ich glaube, ich brauche Ihnen nicht zu sagen, was für eine Zeitverschwendung dieses Sandloch aus Bürokratie und Beschäftigungstherapie ist, aber Verpflichtungen sind nun mal Verpflichtungen. Wenn Sie hier sind, erwarte ich jedoch, dass Sie…«
    Â»Also eigentlich…« Meine Stimme klang leiser, als mir lieb war. »…hatte ich ja gedacht, ich könnte mit der Übersetzung von Elizabeths Briefen weitermachen. Für eine Weile. Wenn das in Ordnung ist.«
    Seine buschigen Augenbrauen verschwanden fast im Haaransatz. Ich konnte es ihm nicht verdenken. Jetzt bekam ich endlich einmal die Chance, etwas Bedeutendes zu tun, und die wollte ich mir entgehen lassen? Wegen der pubertären Angstgefühle irgendeiner Möchtegerndichterin?
    Genau.
    Der Hoff nickte. »Ja. Jaja. Wer weiß, was noch in diesen Briefen versteckt ist? Folgen Sie Ihren Instinkten, Nora. Sie haben ein Wunder vollbracht.«
    Ich war mir nicht einmal sicher gewesen, ob er meinen Vornamen kannte.
    Â»Sie haben die Geschichte verändert«,