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Das Buch aus Blut und Schatten

Das Buch aus Blut und Schatten

Titel: Das Buch aus Blut und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Wasserman
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einen Anblick wie aus Elfenbein. Da er mit der Erwählten dort im Tanze schwankte‹«, sagte Max. Als er bemerkte, dass ich ihn anstarrte, wurde er rot. »Das ist ein Gedicht. Yeats .«
    Â»Ich weiß.«
    Das schien ihn zu überraschen. »Wirklich?«
    Natürlich nicht wirklich – das einzige Gedicht, das ich auswendig konnte, war die erste und die letzte Strophe aus T. S. Eliots »J. Alfred Prufrocks Liebesgesang«, und das auch nur, weil ich es in der zehnten Klasse hatte lernen müssen –, aber der erstaunte Ausdruck auf seinem Gesicht gefiel mir nicht, als wäre es völlig ausgeschlossen, dass ich eine Zeile aus einem Gedicht von Yeats auf Anhieb erkennen konnte. Ich fragte mich, ob er versucht hatte, mich zu beeindrucken, verwarf die Idee aber sofort wieder. Max war nicht der Typ, der sich mit so etwas abgab.
    Ich allerdings auch nicht.
    Â»â€ºIn Meergewölben ward uns Aufenthalt, Bei Meermädchen in rotbraunen Seetangs Winken‹«, zitierte ich, obwohl das Bild überhaupt nicht passte, selbst im weitesten übertragenen Sinn nicht.
    Â»â€ºBis Menschenlaut uns weckt und wir ertrinken.‹« Das war die nächste Zeile.
    Â»Was soll das werden? Ein Wettstreit?«, fragte ich. »Wer kennt mehr Gedichte auswendig? Falls ja, ist das jetzt definitiv das eigenartigste Gespräch meines Lebens.«
    Max erstarrte und wurde schon wieder rot.
    Â»War ’n Scherz«, versicherte ich. »Schließlich bin ich ja der Witzbold von uns beiden.«
    Wir schwiegen wieder und sahen den beiden beim Tanzen zu. Chris gab sich wirklich Mühe, doch er stolperte ohne jedes Gefühl für Rhythmus herum, während Adriane – die gar nicht zu einer unbeholfenen Bewegung fähig war – sich drehte wie eine Disney-Prinzessin auf einem Ball, nur ohne glänzendes Abendkleid und funkelndes Diadem. »Sie ist wunderschön. Findest du nicht auch?«
    Max zuckte mit den Schultern.
    Â»Sie hat dich inspiriert, ein Gedicht zu rezitieren«, machte ich ihm klar.
    Â»Das tun Tropfenkröten auch. Und manchmal auch ein gut gegrilltes Steak. Schönheit ist dafür keine Voraussetzung.«
    Â»Tropfenkröten? Du liest Kröten Gedichte vor?«
    Max stand abrupt auf und hielt mir seine Hand hin. »Lass uns einen Spaziergang machen.«
    Ich warf einen Blick zu Chris und Adriane hinüber, die mit dem theatralischen Walzer aufgehört hatten, sich nur noch langsam hin- und herwiegten und unaufhaltsam auf etwas sehr Unfrommes zusteuerten.
    Â»Gute Idee.« Ich nahm seine Hand. Dreirad hin oder her, manchmal hatte ich doch den Eindruck, dass einer von uns überflüssig war.
    Ohne ein weiteres Wort führte mich Max die enge Wendeltreppe hinauf, die zur Empore führte. Auf dem schmalen Balkon gab es sogar ein Chorpodest und eine heruntergekommene Orgel. »Hier oben war ich noch nie«, sagte ich, während ich mich gegen die Brüstung lehnte und zusah, wie Chris und Adriane unter uns fast in Zeitlupe tanzten. Das hölzerne Geländer knarrte unter meinem Gewicht, was für mich Grund genug war, einen Schritt zurückzumachen und die Liebesrituale, die sich einen Stock tiefer abspielten, zu vergessen.
    Â»Ich komme oft her«, meinte Max. »Ich mag es, wie die Dinge von hier oben aussehen. So klein.«
    Plötzlich spürte ich einen kalten Luftzug, der mich frösteln ließ.
    Â»Ist dir kalt?« Max kam auf mich zu, die Hand an das Revers seines Blazers gelegt, als wollte er ihn mir anbieten, hätte aber nicht den Mut dazu. Er trug fast immer einen Blazer, khakifarben im Frühherbst, und jetzt, wo es langsam kühler wurde, aus Cord. Keine so ungewöhnliche Uniform für den in New England typischen Tweed-Chic, der am College die Regel war, aber mir gefiel, dass Max seine Jacketts mit ausgebleichten Vintage-T-Shirts kombinierte. Im Gegensatz zu den knallbunten, mit coolen Sprüchen versehenen T-Shirts, die die wenigen Hipster am College bevorzugten, sahen seine echt abgerissen aus, als hätte er sie gerade aus dem Berg schmutziger Wäsche in seinem Kinderzimmer gezogen.
    Â»Das gefällt mir.« Ich nahm den Stoff seines verwaschenen Simpsons-T-Shirts zwischen zwei Finger und zog ihn zu mir. Dann, obwohl ich vorher noch nie daran gedacht hatte, so etwas zu tun, und eigentlich nicht mal im Ansatz daran dachte, jedenfalls nicht so, dass man das als bewussten Gedanken im Gegensatz zu einer

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