Das Buch aus Blut und Schatten
seiner mangelnden Schulbildung flieÃt ihm das Latein flüssig aus der Feder, denn er war so entschlossen, die Geheimnisse der Alten zu ergründen, dass er sich ihre Sprache selbst beigebracht hat. Ihn unwissend zu nennen, würde von eigener Unwissenheit zeugen. Deine Lehrer haben Dich, liebster Bruder, vergessen lassen, dass es viele Arten des Wissens gibt.
Vielleicht hat die Liebe mich leichtfertig werden lassen, doch hier umgibt mich so viel Dunkelheit. Du wirst mir doch gewiss ein paar Momente im Hellen erlauben? Dieses Glück wird nicht von Dauer sein, wie alles im Leben. Das hat uns unser Vater gelehrt. Der Himmel mag unveränderlich sein, doch hier auf Erden ist das Leben ein ständiger Fluss und Zerfall. Wir können entweder zusehen, wie sich die Welt um uns herum verändert, wie unser Vater vor uns, oder wir können sie ändern, damit sie unseren Wünschen entspricht.
Und daher muss ich eine Entscheidung treffen. Bete darum, dass meine Wahl weise ist.
Prag, 16. Januar 1599
Elizabeth war also verliebt.
Ich war nicht der Typ, der schwülstige Liebebriefe schrieb oder kitschige Liebeslieder summte, deren hirnverbrannter Text plötzlich einen tieferen Sinn bekam und nur noch für mich gedacht war, aber ich war froh, dass sie es für mich tat. Sterne funkeln in meinen Augen, dachte ich, während ich versuchte, mir vorzustellen, was Max tun würde, wenn ich so etwas zu ihm sagen würde, einschlieÃlich geträllerter Melodien, federnder Schritte und Licht, das die Dunkelheit verbannte.
Vermutlich würde er rot werden und das Thema wechseln.
In ihren nächsten Briefen schrieb Elizabeth über ihre Versuche, ihre Besitztümer vom Kaiser zurückzubekommen, ihre Gedichte, ihren geheimnisvollen Verbündeten und die Gefahren, die er darstellte, die Entscheidung, vor der sie stand, und die Art, wie die zugefrorene Moldau in der Sonne glitzerte, doch vor allem schrieb sie über Thomas.
Das Laboratorium riecht wie er, eine kräftige Mischung aus Schwefel und Asche. Ein Zeichen seiner niederen Stellung, sagt er. Doch ich habe den Stolz gehört, der hinter seiner Bescheidenheit steckt. Er hat mir anvertraut, dass er davon träumt, den Stein der Weisen zu finden, nicht zu seinem eigenen Ruhm, sondern zum Ruhme Gottes.
Und obwohl wir beide Angst hatten, nahm er meine Hand.
Eine Hand in einer anderen, mehr nicht, und doch war es mehr als alles, was ich je gekannt habe.
Schatten flackerten im Kerzenlicht. Bruder, Du hast nie gewusst, wie viel Angst mir die alchemistischen Kammern als Kind eingejagt haben. Damals versteckte ich mich immer hinter dem schwarzen Umhang unseres Vaters, wenn dieser beim Gehen flatterte, während seine Männer mich über ihre Kessel hinweg finster anstarrten, die Gesichter von schwarzen Rauchwolken verborgen. Ich fürchtete das Böse, das unser Vater mit seiner schwarzen Kunst vielleicht erwecken würde. Doch Thomas hat mir meine Angst genommen, indem er mir die wesentliche Wahrheit offenbarte. Alchemie ist kein Buhlen um die Dunkelheit. Es ist die Suche nach dem Licht.
Ich versuchte, immer dann in das Büro des Hoff zu gehen, wenn ich wusste, dass Max da sein würde und Chris nicht, was an und für sich schon merkwürdig war, da ich zur Abwechslung einmal Chris seltener sehen und Max für mich behalten wollte (ein Impuls, der mich nur noch mehr darin bestärkte, all die Jahre über recht gehabt zu haben, dass Chris und Adriane mich davongewünscht hatten, damit sie allein sein konnten). Doch noch merkwürdiger war das Gefühl, neben Max am Tisch zu sitzen und mit leerem Blick auf meinen Notizblock zu starren, wie hypnotisiert von dem gleichmäÃigen Rhythmus seines Atems, dem Geruch seines Shampoos, abgelenkt vom Gewicht seiner Hand auf meinem Bein, dem Druck seines FuÃes an meinem, unserer Nähe und der widerspenstigen Strähne, die er sich immer aus der Stirn strich, bevor er sich vorbeugte, um mich zu küssen. Meiner Arbeit war das nicht gerade förderlich. Ich hätte eine Doktorarbeit über seinen Ellbogen schreiben können oder darüber, wie sein Schlüsselbein aus seinen ausgeblichenen T-Shirts herausragte, doch mit meiner Ãbersetzung kam ich nur langsam voran, und wenn er sich zu mir beugte, seine Wange an meine legte und zusah, wie ich Elizabeths Worte zu Papier brachte, ging so gut wie nichts mehr.
»Du musst damit aufhören«, sagte ich schlieÃlich zu
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