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Das Buch aus Blut und Schatten

Das Buch aus Blut und Schatten

Titel: Das Buch aus Blut und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Wasserman
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mit Teppichboden ausgestatteten, erfreulich antiseptischen, mit Magazinen übersäten Räumen für Angehörige, die vergessen mussten, wo sie waren, die sich auf gepolsterten Stühlen zurücklehnten und auf dem an der Decke montierten Fernseher Kochshows verfolgten, sondern in den Räumen, die fensterlosen Kammern glichen und für Leute gedacht waren, die die Augen nicht mehr vor der Wahrheit verschließen konnten, weil es keine Hoffnung mehr gab.
    Versucht, meine Eltern nicht anzusehen, die mich ansahen. Versucht, nicht zu zittern. Versucht zu weinen. Versucht, mit einem nicht existierenden Gott zu verhandeln, ihn um eine Atempause oder ein Wunder oder eine Zeitmaschine zu bitten, irgendetwas, damit ich zurückkonnte, damit ich ihn zurückbringen konnte.
    Ich hatte das alles schon mal gemacht, daher wusste ich dieses Mal Bescheid.
    Und dieses Mal hatte ich natürlich gesehen, wie das Blut aus seiner Leiche herauskam. Ich hatte sein Gesicht gesehen, zu geschwollen, zu blass. Dieses Mal gab es anstelle eines Plastikbeutels einen historischen Brief mit matten rotbraunen Streifen, als könnte Pergament rosten. Das war anders.
    Alles andere war genau gleich.
    5 Sie brachten mich ins Krankenhaus, weil ich voller Blut war. Ich durfte bleiben, weil Adriane auch dort war. Ihr leerer Blick veränderte sich nicht einmal dann, als sie die klaffende Wunde an ihrer Wange nähten, ihr Flüssigkeiten einflößten und auf sie einredeten, Licht auf ihre Pupillen richteten und sie schließlich in Begleitung ihrer Eltern, die ihren gespenstisch bewegungslosen Körper in die Mitte nahmen, in eine »spezielle Abteilung« verfrachteten, die »besser für ihren Zustand geeignet« sei. Eine spezielle Abteilung, so folgerte ich, für spezielle Leute, die Wände anstarrten, Stimmen hörten, aus dem Fenster sprangen, Schlingen aufhängten, sich aufschlitzten und verbluteten, eine Abteilung für Leute, die mit Gott sprachen.
    Schlau, dachte ich, obwohl ich es nicht denken wollte. Das war typisch Adriane, versuchte ich, nicht zu denken, womit ich aber scheiterte – sie fand eine Abkürzung, sie nahm den bequemen Weg in die Klapsmühle, ließ mich mit der Polizei allein, mit unserem Freund, der jetzt eine Leiche war, seinem Haus, das jetzt ein Tatort war, und der Ansage, die ich zu hören bekam, wenn ich versuchte, Max über sein Handy zu erreichen: Der Speicher der Mailbox ist voll.
    Kaum lagen die Schiebetüren des Krankenhauses hinter uns, stürzten sich Fotografen und Fernsehreporter auf uns. Meine Eltern stießen mich in den Wagen. Sie brüllten die Menge an. Die Menge brüllte zurück. Blitzlichter. Es war egal. Ich ließ mich in den Ledersitz fallen und kniff die Augen zusammen, weil sich die Sonne in den Objektiven der Kameras spiegelte. Erst in diesem Moment wurde mir klar, dass es Morgen war.
    Ich machte die Augen zu.
    Dann machte ich sie wieder auf.
    In der Dunkelheit lauerte zu viel.
    6 Sie waren zu zweit. Einer, der bemüht nett war und mir vor nicht allzu langer Zeit – an einem anderen, vermeintlichen Tatort – versichert hatte, dass alles wieder in Ordnung kommen würde, und ein Blonder Anfang zwanzig, der aussah, als wäre er durch die Eignungsprüfung für die Sporthochschule gefallen und alles andere als glücklich darüber, in Ermangelung anderer Möglichkeiten eine schicke blaue Uniform zu tragen, aber auf Nachfrage zugeben müsste, dass die auf Hochglanz polierte Neunmillimeter in seinem Holster den Schmerz seines geplatzten Traums etwas linderte.
    Â»Erzählen Sie mir, was passiert ist«, sagte der Ältere. Das Zimmer war weiß und fensterlos, der Stuhl hart. »Ganz langsam. Von Anfang an.«
    Am Anfang wussten Chris und ich gar nicht, was es eigentlich war. Wir wussten nicht, ob kalte Pizza und eine zerkratzte Spartacus- DVD – die zum Glück nach dem ersten Wagenrennen kaputtging, sodass wir den Rest des Abends Zeit für vermurkste Konjugationen und mehrere lautstarke Runden Gin Rommé hatten – ein etwas verkrampftes Date bedeuteten oder doch nur einen Abend, an dem zwei Leute, die nie etwas anderes als einen Tisch in der Cafeteria miteinander teilen würden, gemeinsam ihre Hausaufgaben erledigten. Doch schon am Anfang, nach jenem ersten und letzten peinlichen Versuch, der Konvention zu genügen – die scheinbar zufälligen Berührungen unserer Hände, die

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