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Das Buch aus Blut und Schatten

Das Buch aus Blut und Schatten

Titel: Das Buch aus Blut und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Wasserman
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passiert?« Genau das machst du jetzt, du tust so, als würdest du damit umgehen können, du tust so, als hättest du alles unter Kontrolle, dachte ich.
    Wag es ja nicht, mich alleinzulassen, dachte ich.
    Sie sah an mir vorbei, mit leerem Blick und offenem Mund. Ihr keuchender Atem wurde von einem leisen Wimmern begleitet. Keine Worte, nur ein Wimmern. Wie ein Baby; wie ein Tier.
    Genau das machst du jetzt, dachte ich und wählte den Notruf. Dann sagte ich ihnen, dass etwas passiert sei, dass jemand blute, dass jemand tot sei.
    Â»Verlassen Sie sofort das Haus«, sagte eine Stimme aus weiter Ferne. »Und bleiben Sie in der Leitung.« Das wollte ich auch, aber der Mann redete und redete, und weil ich mich nicht auf seine Worte konzentrieren konnte, drückte ich ihn weg.
    Ich kniete mich neben Chris, kniete mich neben die Leiche. Ich kniete mich in das Blut, legte ihm eine Hand auf den Rücken, und als ich sie zurückzog, war sie ganz klebrig.
    Ich packte Adriane, schüttelte sie, ohrfeigte sie, wobei meine Hand einen blutigen Abdruck auf ihrer Wange hinterließ, schrie wieder, flehte sie an, aufzuwachen, zurückzukommen, mir zu sagen, was passiert war, bitte sag mir, was passiert ist.
    Sie hatte ein zusammengeknülltes Stück Papier in ihrer Faust. Ich bog ihre Finger auseinander und da war er, wie ein Witz, wie ein Bumerang, wie ein Fluch, E. I. Westonia, Ioanni Francisco Westonio, fratri suo germano, der gestohlene Brief.
    Keine große Sache.
    Plötzlich war der blutige Brief in meiner Tasche und das Telefon wieder in meiner Hand. Auf dem Display starrte mich das Gesicht von Max an, weil er versprochen hatte, mich zu beschützen, ob ich wollte oder nicht, doch das Telefon klingelte und klingelte, bis sich die Mailbox einschaltete und ich das Gespräch wegdrückte.
    Er ist auch tot, dachte ich – ich wusste es. Ich sah nur noch Chris’ Blut und Adrianes leere Augen. »Bitte lass mich hier nicht allein. Bitte nicht.« Ich war nicht sicher, mit wem ich redete, aber das spielte keine Rolle mehr. Niemand antwortete, weil niemand zuhörte.
    Tot ist tot.



 
    Â 
    II. TEIL
    Die Feier der Unschuld
    Evocat iratos Cæli inclementia ventos;
Imbreque continuo nubila mista madent.
Molda tumet multum vehemens pluvialibus undis
Prorumpens ripis impetuosa suis.

Der erbarmungslose Himmel ruft die wütenden Winde,
aus wasserschweren Wolken fällt unablässig Regen.
Die aufgewühlte Moldau, mit regennassen Wellen,
reißend, ungestüm, verlässt ihr Bett.

»D E INUNDATIONE PRAGÆ EX CONTINUIS PLUVIIS EXORTA «
E LIZABETH J ANE W ESTON
    Â 
    Â 
    Â 

1 Ich habe das schon mal erlebt.
    2 Ich habe das schon mal erlebt .
    Ich habe das schon mal gemacht.
    3 Vorher.
    Warnleuchten hatte es vorher schon mal gegeben. Kreischende Sirenen. Schreie.
    Und Blut. Blut auf der Straße, Blut, das ich mir einbildete, und Blut, das ich sah, Blut, das im Licht der Straßenlampen schimmerte, als wir vorbeirasten und unter den Reifen die Glassplitter auf der Fahrbahn knirschten, mein Vater mit versteinertem bleichem Gesicht am Steuer, meine Mutter mit der Hand am Ohr, als würde sie immer noch den Anruf hören – oder versuchen, ihn nicht zu hören –, der uns aus dem Vorher ins Jetzt, ins Nachher katapultiert hatte. Blut war auf der Straße, Blut war auf der zerrissenen Kleidung, die jemand in einen durchsichtigen Plastikbeutel gestopft hatte, Blut war auf seinem Portemonnaie und seinen Sneakern und seinem Button-down-Hemd, für das er sich erst in letzter Minute entschieden hatte, weil es angeblich die Art von Party war, für die man sich ein bisschen Mühe mit dem Aussehen geben konnte.
    Vorher waren auch Polizisten da gewesen, des Bluts wegen. Seines Bluts wegen, das Alkohol enthielt und bewies, dass es sein Fehler, seine Schuld, sein Verbrechen war. Oder, wie er es formuliert hätte – weil er im Englischunterricht einen Film mit James Dean gesehen hatte und dann noch einen mit Catherine zusammen, um ihr zu beweisen, er hätte »Tiefe«, weil er die Legende vom schnellen Leben und jungen Sterben verinnerlicht und schließlich auch gelebt hatte –, wegen seiner schönen Leiche.
    Bei der Beerdigung war sein Sarg geschlossen. Das Blut auf der Straße, das Blut an den Schuhen, das war das Letzte, was ich von ihm sah.
    Es war nicht schön.
    4 Ich habe das schon mal gemacht.
    In Wartezimmern gewartet – nicht in den

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