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Das Buch aus Blut und Schatten

Das Buch aus Blut und Schatten

Titel: Das Buch aus Blut und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Wasserman
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zu schreien.
    Sie bewegte sich nicht, sie änderte ihren Gesichtsausdruck nicht, sie sah mich nicht an, sie machte einfach nur den Mund auf und schrie, wie eine Alarmanlage, die wie Adriane aussah. Und obwohl ich ihr übers Haar strich, ihre Hand hielt und mich immer wieder dafür entschuldigte, dass ich genau das gesagt hatte, was ich nicht hätte sagen sollen, hörte sie nicht auf. Erst als die freundliche Schwester ins Zimmer stürzte, gefolgt von zwei nicht so freundlich aussehenden Pflegern, die sie packten und ihr eine Nadel in den Arm stießen, wurde sie wieder ein Mensch – und dann verwandelte sich der Mensch völlig unvermittelt in ein Tier, das sich gegen den Griff der Pfleger wehrte. In ihre Schreie mischten sich Grunz- und Knurrlaute, kehlige, peinliche Geräusche, die ich nicht hören wollte, und schließlich ein Heulen, das zu einem Seufzer verstummte, als die Beruhigungsmittel wirkten und sie mit geschlossenen Augen auf das Bett fiel.
    Â»Es ist nicht Ihre Schuld«, sagte die Schwester zu mir, nachdem die Pfleger Adriane an das Bett geschnallt und gegangen waren. Es war eine nett gemeinte Lüge.
    Â»Auf Wiedersehen, Adriane. Werd schnell wieder gesund, ja?« Mehr fiel mir nicht ein. Ich ließ sie zurück, mitgenommen und hilflos, so wie den Hoff, als ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Damals hatte ich nach dem Hoff direkt Chris angerufen, weil dort mein Zuhause war, weil es dort sicher war. Aber dieses Zuhause gab es nicht mehr.
    Als ich wieder im Haus war, was irgendwann sein musste, weil ich sonst nirgendwohin konnte, war meine Mutter noch bei der Arbeit, doch mein Vater musste irgendwo sein, weil er die Post hereingebracht und auf den Küchentisch gelegt hatte. Ganz oben auf dem Stapel mit Werbung lag ein Brief von der Chapman Prep, die sich freute, mir mitteilen zu können, dass der für die Vergabe von Stipendien zuständige Ausschuss in Anerkennung meiner hervorragenden schulischen Leistungen beschlossen habe, meinen Antrag auf Übernahme der mit der bevorstehenden Europareise der Abschlussklasse verbundenen Kosten zu genehmigen.
    Ich hatte um ein Wunder gebeten. Wahrscheinlich hätte ich mich genauer ausdrücken sollen.
    17 Am Abend übersetzte ich die Briefe aus Chris’ Schreibtisch, in denen ich nach etwas suchte. Irgendetwas.
    Die Formel ist kompliziert, doch der Erfolg steht kurz bevor. Das Mädchen schreckt nicht vor harter Arbeit zurück. Vielleicht ist sie stärker, als Ihr erwartet habt. Sie fürchtet nichts. Doch ihre Lage wird immer schlimmer. Die Mutter ist nach wie vor ein Problem und verlangt immer mehr. Das Mädchen versucht verzweifelt, die Besitztümer der Familie zurückzubekommen. Doch der Kaiser wird sich niemals erweichen lassen. Bald wird sie nach anderen Möglichkeiten suchen. Ich kann Euch heute Abend nicht am gewohnten Ort treffen. Doch morgen, bei Sonnenaufgang, werde ich da sein.
    14. Dezember 1598
    Gibt es denn keine andere Möglichkeit? Ich verstehe Eure Eile, doch ich bitte Euch erneut, noch einmal darüber nachzudenken. Sie werdet Ihr noch brauchen, doch ich habe meine Aufgabe erfüllt. Sie ahnt immer noch nicht, dass sie beobachtet wird. Sie wird wie geplant heute Abend am Tor zum Judenviertel sein.
    19. Dezember 1598
    Ihr könnt mir getrost drohen. Ich habe nichts von Euch zu befürchten. Ich werde Euch nichts mehr sagen. Auch ich kann drohen. Wenn Ihr mich noch einmal ansprecht, sorge ich dafür, dass sie alles erfährt.
    19. Januar 1599
    Was auch immer ich suchte, ich fand es nicht. Und Chris, der mir immer mehr wie ein Fremder vorkam, war immer noch tot.
    18 Die Woche war grauenhaft. Sie begann mit Adriane und hörte mit dem Geburtstag von Totem Bruder auf. Meine Mutter hortete für solche Gelegenheiten immer Beruhigungsmittel in dem Karton mit ihren Tampons, und mein Vater bewahrte eine zweiundfünfzig Jahre alte Flasche Glenlivet in der untersten Schublade seines Schreibtisches auf. Allerdings sah es so aus, als wäre die Quelle am Versiegen, denn im letzten Jahr war unverkennbar der Geruch von Eau de Gras durch die verriegelte Tür seines Arbeitszimmers nach draußen gedrungen. Vermutlich hatte er einem seiner Studenten mal eine Portion abgenommen, damals, als er noch Studenten hatte. Was Andys Grab anging, hatte jeder von ihnen sein eigenes Ritual. Mein Vater besuchte es irgendwann um Mitternacht herum, wenn er so betrunken war, dass er den Mond anheulen

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