Das Buch aus Blut und Schatten
netten Freund von Ihnen auch erklärt. Sie braucht einfach ein bisschen Zeit, um gesund zu werden.«
»Meinem Freund?«
»Der Junge, der ihr immer diese schönen Blumen bringt.« Sie zeigte auf eine Vase mit gelben Rosen neben Adrianes Bett. Adriane hasste Rosen. Chris hatte ihr trotzdem immer welche gekauft, weil er einfach nicht verstanden hatte, dass es auch andere Blumen gab. »Er sagte, ich soll Sie von ihm grüÃen, wenn Sie kommen.«
»Mich? Woher wissen Sie überhaupt, wer ich bin?«
»Er hat mir ein Foto gezeigt«, erwiderte sie. »Wenn Sie so vor einem stehen, sind Sie allerdings hübscher.«
»Wie hieà er?«
Sie zögerte. »Lassen Sie mich nachdenken. Ich weià nicht, ob ich michâ¦Â« Dann breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. »Jetzt fälltâs mir wieder ein. Chris. Er hieà Chris.«
Ich hatte das Gefühl, als wäre es im Zimmer ganz plötzlich ein paar Grad kälter geworden. »Wie sah er aus?«
Sie fuchtelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum. »Oh, gut. Er sah gut aus. Braune Haare. Glaub ich jedenfalls.«
Als sie das Zimmer verlassen hatte, warf ich die Blumen weg.
Dann setzte ich mich aufs Bett und versuchte, nicht darüber nachzudenken, warum jemand, der sich Chris nannte, mit einem Foto von mir in der Gegend rumlief oder ob er immer noch da war und auf dem Parkplatz auf mich wartete. Ich zwang mich zu einem Lächeln und fing an, mit der einzigen Freundin zu reden, die ich noch hatte.
»Das ist ganz schön schräg«, sagte ich. »Findest du nicht auch?« Ich kam mir wie ein Idiot vor. »Die Trauerfeier war beschissen. Alles andere auch. Das hätte unser Jahr werden sollen, weiÃt du noch? Lâannée mémorable.« Ein unvergessliches Jahr. Ich beugte mich vor. »Soll ich dir ein Geheimnis verraten? Dein Akzent im Französischen ist scheiÃe.«
Ich machte eine Pause, weil ich nicht genau wusste, was schräger war: einen Monolog zu halten oder so zu tun, als würden wir uns unterhalten, indem ich Pausen machte, damit sie antworten konnte, als würde sie es irgendwann tun, wenn man ihr nur die Möglichkeit dazu gab.
»Willst du noch ein Geheimnis wissen?«, fragte ich sie. »Ein richtiges?«
Noch eine Pause.
»Ich halte das mal für ein Ja. Du weiÃt doch noch, was wir alles in Paris unternehmen wollten, ja? Wir vier. In der Seine schwimmen und so. Es wäre sowieso nie passiert. Ich hätte es mir nie leisten können. Ich weià nicht, warum dir das nicht aufgefallen ist. Oder warum ich es dir nicht einfach gesagt habe. Wahrscheinlich hab ich auf den richtigen Zeitpunkt dafür gewartet. Oder auf ein Wunder.« Ich lachte. Zumindest klang es wie ein Lachen. »Ich bin mir nicht sicher, ob man das hier als Wunder bezeichnen könnte.«
So ging das nicht. Es war nicht das, was ich sagen sollte; es war nicht das, was ich sagen musste.
»Du fehlst mir«, sagte ich. »Ich brauche dich. Bitte.«
Aber das war auch nicht das Richtige. Es fühlte sich so unecht an, als würde mich jemand mit versteckter Kamera filmen. Als würde ich ein schlechtes Drehbuch für einen schlechten Fernsehfilm lesen, für die Art von Film, in der Schauspieler aus abgesetzten Sitcoms mitspielten, die nur noch ein verpatztes Vorsprechen von einem Werbespot für Hämorridensalbe entfernt waren. Es beunruhigte mich, dass ich Adrianes Hälfte unseres Gesprächs nicht auffüllen konnte. Ich kannte sie gut genug. Ich hätte in der Lage sein müssen, sie zu erfinden. Und nicht nur sie â Trauernde sahen doch angeblich Gespenster, hörten Stimmen, halluzinierten. Wo waren meine Visionen? Wo war mein Wahnsinn?
»Ich werde dir jetzt keine langatmige Rede darüber halten, dass du stark sein musst und das schon durchstehen wirst oder dass es eine Menge Leute gibt, die dich gernhaben und nur darauf warten, dass du wieder zurückkommst. Blablabla. Aber du warst doch dabei, Adriane. Du hast gesehen, was passiert ist. Du weiÃt, wer es war.«
Vielleicht bildete ich es mir nur ein. Aber ich dachte, ich würde sehen, wie sich ihre Pupillen auf mich richteten. Und ich war sicher, dass ein Muskel an ihrem Mund zuckte.
»Erinnerst du dich?«, fragte ich. Ich setzte mich auf die Armlehne des Sessels und nahm ihre Hand. »Wer hat Chris so wehgetan? Was ist mit Max passiert? Was ist passiert?«
Adriane fing an
Weitere Kostenlose Bücher