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Das Buch aus Blut und Schatten

Das Buch aus Blut und Schatten

Titel: Das Buch aus Blut und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Wasserman
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zu zitieren, alles, was möglicherweise die dünne Membran zerstören konnte, die uns von einer großen Bandbreite – Absturz, Erfrieren, Sauerstoffmangel, Ertrinken, Bruchlandung, Verbrennen – von Todesarten trennte. Nicht zum ersten Mal hatte ich sie um ihr fast fotografisches Gedächtnis beneidet, doch zum Glück war ich inzwischen Experte darin, einfach abzuschalten. Ich hatte vorher nur zweimal in einem Flugzeug gesessen und beide Male ausgiebig Gebrauch von den Spucktüten gemacht, die praktischerweise in der Tasche des Vordersitzes steckten, doch dieser Flug war anders. Wir waren in einer Metallbüchse eingeschlossen, die zwölftausend Meter über dem Meer durch die Luft schoss, was bedeutete, dass niemand durch mein Fenster klettern konnte, niemand konnte die Haustür mit einem gestohlenen Schlüssel aufmachen, niemand konnte sich, während ich schlief, mit einem Kissen oder einer Pistole oder einem Messer in der Hand über mich beugen. Wenn ich die Augen schloss, sah ich immer noch Chris vor mir; ich sah immer noch sein Blut. Und daher schlief ich keine Sekunde.
    Doch für die Dauer des Fluges fühlte ich mich zum ersten Mal sicher.
    Â»Du glaubst einfach alles«, argumentierte Adriane. »Und deshalb muss ich mitkommen. Du brauchst jemanden mit einer gesunden Portion Paranoia.«
    Â»Adriane, das ist kein Witz. Ich schwöre, du bist mir nichts schuldig…«
    Â»Ich lache doch gar nicht.« Sie dämpfte ihre Stimme und lehnte sich über den Rand der Balustrade. Ich tat mein Bestes, um die schwindelerregende Höhe zu ignorieren, und beugte mich zu ihr vor. »Und ich tue das nicht für dich«, sagte sie leise. »Oder für Max.«
    Dann sagte sie nichts mehr.
    Den gesamten Vormittag über waren wir wie Zombies hinter unseren Begleitpersonen hergelatscht, von einem touristischen Highlight zum nächsten, und nach Notre-Dame standen noch das Panthéon, der Arc de Triomphe und die Sorbonne auf dem Programm, bevor wir dann endlich drei Stunden uns selbst überlassen wurden, um in den Louvre zu gehen. Dieses Zeitfenster reichte, um es bis zum Bahnhof zu schaffen und um 17.40 Uhr in den Zug nach Prag zu steigen, bevor jemandem auffiel, dass wir nicht mehr da waren. Unsere Koffer waren schon ins Hotel gebracht worden, wo wir erst am Abend einchecken würden, doch wir hatten genug Kleidung und Bargeld für die nächsten Tage in unser Handgepäck gestopft. Fast hätte ich gesagt, es war zu einfach, aber so dumm war ich nicht. Es war nie zu einfach.
    4 Der Louvre war praktisch eine eigene Stadt. Laut der Schlaftablette von Museumsführer waren hier fünfunddreißigtausend Kunstwerke, die besten und schönsten der ägyptischen, vorderorientalischen, griechischen, etruskischen und römischen Zivilisationen, ganz zu schweigen von sieben Jahrhunderten europäischer Ölmalerei, auf annähernd sechzigtausend Quadratmeter in blattgoldverzierte Säle und Gänge gestopft. Im Café wurde Wein ausgeschenkt – auch an minderjährige Amerikaner – und so war es keine Überraschung, dass die Horde gesschlossen in eine Richtung strebte. Wir strebten in die andere. Auf der Suche nach etwas, was Fragmentierte Statue des Nero hieß, jedenfalls erzählte ich das Kyle Chen, der von unseren Abschlussfahrt-Aufpassern der jüngste und stumpfeste war. Da er bis vor Kurzem noch auf der Chapman Prep gewesen war und meinen Ruf als Latein-Streberin kannte, winkte er uns weg, wobei er mich kaum ansah, der zu bedauernden, bald womöglich zu Tode gelangweilten Adriane aber einen Blick zuwarf, der von mitfühlend zu anerkennend wechselte, während er an ihrem Körper nach unten glitt. Genau genommen war es Adriane gewesen, die – allerdings bevor unser Aufenthalt in Paris von Amélie zu Mission Impossible geändert worden war – das Verzeichnis der unbedingt zu besichtigenden Ausstellungstücke des Louvre auswendig gelernt und dann die optimale Route dazwischen ausgearbeitet hatte, damit meine Zwangsfütterung mit den Wundern der zivilisierten Welt rechtzeitig für einen Chardonnay zur Cocktailstunde beendet war.
    Und jetzt war sie für unsere Fluchtroute zuständig. Wir mussten lediglich in den Denon-Flügel und dort ein paar Minuten unter den teilnahmslosen Blicken vor sich hin bröckelnder Marmorgötter warten, bevor wir es riskieren konnten, in den Innenhof zurückzukehren und mit

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