Das Buch Der 1000 Wunder
über diese wunderbarste aller Reisen mitgeteilt:
„Um 2¾ Uhr – vier Stunden nach dem Aufstieg – bei 9000 Meter und -30 Grad hatten wir das stolze Bewußtsein, höher als alle Erhebungen der Erde zu sein, aber es machte wenig Eindruck. Schematisch wurde das vorgeschriebene Arbeitspensum erledigt; zur Unterhaltung spürte keiner von uns Lust; es war auch schwer, sich bei den über die Ohren gezogenen Pelzkappen verständlich zu machen.
Eine Verschlechterung des Befindens war noch immer nicht festzustellen, aber es wurde immer schwerer, die Müdigkeit zu bekämpfen. Mir fielen sogar einmal die Augen zu, aber, wieder aufgewacht, fühlte ich mich vollkommen frisch, und wir führten zwischen 9000 und 10 000 Meter in Abständen von zirka sechs Minuten noch vier Beobachtungsreihen aus. Die Temperatur betrug hier zwischen 30 und 40 Grad Kälte.
Ein anscheinend nebensächlicher Umstand beförderte nun vielleicht die Abnahme unserer Kräfte: das registrierende Barometer war eingefroren, sowohl das Uhrwerk wie die Tinte. Berson bemühte sich – wie vorauszusehen war, vergebens – die Apparate wieder in Ordnung zu bringen; ich hatte in der Zwischenzeit nichts zu tun; meine Müdigkeit wurde daher wieder größer. Nachdem diese Versuche aufgegeben waren, machten wir noch eine gemeinschaftliche Ablesung in 10 230 Meter Höhe. Bemerkenswert – weil abweichend von früheren Erfahrungen – ist die Sicherheit, man kann fast sagen Mühelosigkeit, mit welcher diese Beobachtung ausgeführt werden konnte . . .
Die Einstellung und Beobachtung des Quecksilberbarometers, welche eine ganz ruhige und etwas unbequeme Stellung verlangte, war exakt durchführbar; der Stand der Thermometer, welcher durch ein astronomisches Fernrohr, also mit umgekehrtem Bild, abgelesen wurde, war klar erkennbar, und das Beobachtungsprotokoll konnte von mir mit größerer Sauberkeit geführt werden als bei mancher anderen Fahrt. Der Grund für das Wohlbefinden waren offenbar die konsequent durchgeführte Sauerstoffatmung und der gute Schutz gegen die Kälte. Kein Wunder, daß man glaubte, noch viel mehr ertragen zu können! Und doch befand sich der Körper nicht mehr im normalen Gleichgewicht.
275 Über 10 250 Meter Höhe werden plötzlich die bis dahin so deutlich in der Erinnerung haftenden Vorgänge unklar; die Erinnerungen sind infolgedessen bei uns beiden scheinbar etwas abweichend. Zweifellos steht fest, daß Berson das Ventil zog und dadurch den Ballon zum Fallen brachte. Kurz vorher hatte er mit schnellem Blick am Barometer einen Luftdruck von 202 Millimetern – das entspricht einer Höhe von 10 500 Metern – abgelesen. Diese Höhe ist somit sicher festgestellt. Naturgemäß hat das Ventilziehen nicht sofort gewirkt, um so weniger, weil unmittelbar vorher Ballast geworfen war. Der Ballon ist also noch gestiegen – wir nehmen aus verschiedenen Gründen an bis zu etwa 10 800 Metern – aber das ist eben nur eine Schätzung, keine Tatsache. Berson zog das Ventil, weil er auf Anruf und Schütteln von mir keine Antwort erhielt und daher eine Katastrophe befürchtete; das Ventilziehen verbrauchte aber den Rest seiner Kräfte, er brach erschöpft zusammen und fiel in eine lange, schwere Ohnmacht.
Meine Erinnerungen besagen, daß ich meinen Kollegen anscheinend schlafend in sitzender Stellung vorfand, als ich – anscheinend noch ganz frisch – mich nach ihm umsah, um zu einer neuen Beobachtungsreihe aufzufordern. Schütteln war vergeblich; auch als ich ihm meinen Atmungsschlauch in den Mund steckte, um ihm mehr Sauerstoff zuzuführen, blieb er regungslos. Ich wollte daher das Ventil ziehen, dessen Leine für mich ziemlich schwer zu erreichen war, mußte aber wieder umkehren, um zunächst meinen bei Berson zurückgelassenen Atmungsschlauch zu holen. Mit der noch ganz deutlichen Erinnerung, daß die Kräfte rapide abnahmen, ergriff ich auch noch den Schlauch, aber dann schwand das Bewußtsein. Ob das vor oder nach Bersons Ventilziehen war, ist ziemlich nebensächlich; jedenfalls waren wir schließlich beide ohnmächtig.
Indessen fiel der Ballon, und ziemlich gleichzeitig, aber erst nach einer halben bis dreiviertel Stunde, erwachten wir in zirka 6000 Metern Höhe aus der Ohnmacht, beziehungsweise dem daran sich anschließenden Schlaf. Jetzt war das Befinden ein ganz anderes als vorher: nichts von anscheinender Frische, sondern zunächst Atemnot und Angstgefühl, die allerdings nach starker Sauerstoffatmung bald wieder verschwanden,
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