Das Buch Der 1000 Wunder
Verlag von B. G. Teubner, Leipzig und Berlin, 1910.
Aus eigenen Erfahrungen wissen wir, daß es viele Mühe kostet und rasch zur Ermüdung führt, wenn man einen Muskel lange in derselben 97 zusammengezogenen Lage halten will. Wo daher bei Tieren infolge ihrer Lebensgewohnheiten Muskelkontraktionen von beträchtlicher Dauer üblich sind, findet man Hilfskonstruktionen in ihrem Bau, die eine Entlastung der Muskeln gestatten. Die Ähnlichkeiten mit mechanischen Konstruktionen von Menschenhand sind nicht zu verkennen.
Eine solche Einschnappvorrichtung befindet sich z. B. am Bein des Storchs und gestattet ihm, Unterschenkel und Läufe gegeneinander festzustellen, so daß er, auf einem Bein ruhend, schlafen kann, ohne zu dessen Streckung seine Muskeln, anzustrengen. Den aufgerichteten Stachel des Stichlings vermag man durch Druck gegen seine Spitze nicht umzulegen, da ein kleines Knöchelchen, das mit dem Stachel durch ein Band verbunden ist, sich beim Aufrichten selbsttätig unter dessen Basis schiebt. Das Umlegen des Stachels wird dadurch in gleicher Weise verhindert, wie ein Fensterflügel durch ein eingeklemmtes Holzstück offen gehalten wird. Der Stachel kann nur niedergelegt werden, wenn das Sperrknöchelchen zurückgezogen wird, was das Tier durch einen besonderen Muskel bewirkt.
Auch das Feststellen der gekrümmten Krallen von Vögeln, die auf Baumästen schlafen, geschieht mit Hilfe einer Sperrvorrichtung in Form von aufeinandergepreßten Reibeflächen, die durch das Körpergewicht beim tiefen Niederducken belastet werden.
70. Schlangenappetit
Quelle: Dr. Franz Doflein: »Das Tier als Glied des Naturganzen«, zweiter Band des Werks: »Tierbau und Tierleben in ihrem Zusammenhang betrachtet«, von Dr. Richard Hesse und Dr. Franz Doflein. Verlag von B. G. Teubner, Leipzig und Berlin 1914.
Die großen Schlangen haben eine wunderbare Fähigkeit, ihre Mundöffnung und ihre Verdauungsorgane so weit zu vergrößern, daß sie auch Tiere zu verschlucken vermögen, deren Leibesumfang weit größer ist als der ihrige. Sie liegen nach solchem Fraß lange Zeit unbeweglich und verdauen. Aber verhältnismäßig rasch stellt sich von neuem Appetit bei ihnen ein.
So teilt der Bericht des Trivandrum-Museums zu Travankore im südlichen Vorderindien vom Jahre 1903 mit, daß eine Python-Schlange von 7 Metern Länge innerhalb eines Jahrs, während welcher Zeit sie sich viermal häutete, 100 Hühner, 4 kleinere Beuteltiere, ein Känguruh und einen Hund gefressen hat. Ein kleineres Exemplar von 5 Metern Länge fraß in der gleichen Zeit 54 Hühner, 2 Bandikuts, 2 Hunde, 2 Meerschweinchen, einen Reiher und 2 Beuteltiere. Nach dem gleichen Bericht fraß in einem Jahr eine Kobra von 1½ Metern Länge 55 Ratten und 50 Frösche.
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71. Die besten Schwimmer
Quelle: Dr. Richard Hesse: »Der Tierkörper als selbständiger Organismus«, erster Band des Werks: »Tierbau und Tierleben in ihrem Zusammenhang betrachtet« von Dr. Richard Hesse und Dr. Franz Doflein. Verlag von B. G. Teubner, Leipzig und Berlin, 1910.
Es ist oft versucht worden, die Geschwindigkeit zu bestimmen, mit der sich Fische im Wasser fortbewegen. Die Erfolge sind bisher recht gering, da die Versuchsbedingungen im Wasser äußerst ungünstig sind. Nur vom Lachs ist nach Hesse durch Beobachtung festgestellt, daß er stromaufwärts innerhalb 24 Stunden 40 Kilometer zurückzulegen vermag. Wenn man die entgegenstehende Geschwindigkeit des Wassers mit in Betracht zieht, so ergibt sich eine Eigengeschwindigkeit von 5,6 Metern in der Sekunde.
Schwertfische schießen mit einer solchen Schnelligkeit durchs Wasser, daß sie einen badenden Mann, gegen den sie anrennen, mit ihrem zugespitzten Oberkiefer zu durchbohren vermögen. Das Museum of the Royal College of Surgeons in London bewahrt ein Stück eines Schiffsbodens auf, an dem zu sehen ist, daß ein Schwertfisch seine Waffe durch 35 Zentimeter dickes Eichenholz stoßen konnte, nachdem er vorher den Kupferbeschlag des Schiffs, eine Planke von 10 Zentimetern und eine Lage Filz durchbohrt hatte.
Hierzu sei bemerkt, daß auch die Kriechgeschwindigkeit von Schlangen in warmen Gegenden ganz erstaunlich ist. Man vermag ihnen kaum mit den Augen zu folgen; wenn sie fliehen, sind sie durch einen laufenden Menschen nicht einzuholen, ja es ist vorgekommen, daß rasch kriechende Schlangen einen vor ihnen fliehenden Menschen umgestoßen haben.
72. Springkünstler
Quelle: Dr. Richard Hesse: »Der Tierkörper als
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