Das Buch Der 1000 Wunder
sich der ganze Krebs in das Schneckenhaus zurück und ist dort geborgen.
Nur gegen einen Feind, und zwar gerade gegen seinen Hauptverfolger, nützt ihm dieses Verstecken nichts. Es naht sich ihm der Oktopus, ein Mollusk aus dem Geschlecht der Tintenfische, und mit seinen langen, mit vielen Saugnäpfen versehenen Armen zieht der kräftige Räuber den umsonst sich Sträubenden aus der Schale heraus. Der Einsiedlerkrebs, der schon einmal eine kluge Schutzmaßnahme getroffen hat, möchte sich nun auch vor diesem Schicksal bewahren. Und wenn er es recht überdenkt, fällt ihm ein Tier ein, ein seltsames, sonst ziemlich hilfloses Geschöpf, vor dem er die Oktopusse schon zurückweichen sah. Das Tier ist ein Polyp, Adamsie genannt. Der Polyp streckt, wenn er angegriffen wird, aus seinem Mund lange Fäden gleich Würmern hervor, die mit Nesselorganen besetzt sind und bei Berührung jedes Tier sofort zurückschrecken.
Der Krebs begibt sich also zu einer Adamsiensiedelung, und ohne lange zu zögern, lüpft er mit einer Schere einen der Polypen oder auch mehrere von ihrer Unterlage und setzt sie auf seine Schneckenschale. Die Polypen saugen sich hier sofort mit ihren Füßen fest und begleiten den Krebs nun, wohin er sich wendet. Sucht jetzt ein Oktopus sich an dem Krebs zu vergreifen, so lassen die Adamsien ihre Nesselfäden auf den Arm des Mollusken herunter, und sogleich zieht sich dieser, durch das heftige Brennen seiner Glieder erschreckt, zurück und läßt den also geschützten Krebs in Ruhe.
Dieses Kompagnongeschäft nennt die Naturwissenschaft Symbiose. Beide Tiere haben Vorteile von ihrem Zusammenleben. Der Krebs ist vor seinen Feinden geschützt, und die Adamsie, die sonst warten muß, bis ihr etwas in den Mund fällt, weil sie sich nicht fortbewegen kann, kommt durch ihren Freund an verschiedene Stellen des Meers und kann auch immer etwas von dem auffangen, was der Krebs verzehrt und mit seinen scharfen Zangen zerkleinert.
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68. Explosivwaffen der Polypen
Quelle: Dr. Conrad Günther: »Vom Urtier zum Menschen«, erster Band. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, 1909.
Jene bunten Tiere niederster Art, die festgewurzelt und unfähig jeder Fortbewegung auf dem Meeresboden sitzen, pflegen uns als Urbilder der Hilflosigkeit zu erscheinen. Denn wenn sie angegriffen werden, können sie die beste Waffe der Schwachen nicht anwenden: das Fortlaufen. Aber so ganz wehrlos sind sie doch nicht. Die sorgende Natur hat vielmehr die Polypen wie auch ihre schwimmenden Nachkommen, die Quallen, mit höchst raffinierten, vom menschlichen Standpunkt aus direkt modern anmutenden Waffen versehen.
Wenn kleine Tiere sich den Fangarmen eines Polypen genähert haben, so werden sie von diesen dünnen Fäden nicht gepackt, denn dazu sind die Fangarme viel zu schwach, sondern sie werden durch eine austretende giftige Flüssigkeit gelähmt. Das Gift wird durch besonders abgeschnellte Kapseln in den Körper des fremden Tiers hineinbefördert.
An den Fangarmen der Polypen sitzen zu diesem Zweck die Nesselzellen . Sie sind so zahlreich, daß sie sich zu dicken Wülsten anhäufen. Ihr Inneres ist konstruktiv aufs feinste durchgebildet. Es enthält nämlich einen langen spiralig aufgewickelten Faden, der mit einer gewissen Spannung in der Zelle unter einer in deren Wand befindlichen Öffnung liegt. So fein der Spiraldraht ist, enthält er doch noch ein Rohr, in dem das Gift sich befindet. Die Nesselzellen werden von einem ganz dünnen Körperhäutchen umspannt. Sobald dies an einem spitzigen Fortsatz berührt wird, platzt es, und die Kapsel fliegt heraus. Zugleich streckt sich der Spiralfaden, der nun entlastet ist, aus, dringt wie ein Spieß in das angegriffene Tier und lähmt es durch das ausfließende Gift.
Es ist das also eine Art Schrapnellwirkung, die hier beim Polypen schon vor unendlichen Zeiten üblich war, als der Mensch wahrscheinlich noch gar nicht auf der Erde lebte.
Bei gewissen Hohltieren ist die Nesselwirkung so stark, daß auch der Mensch empfindlich gebrannt wird, wenn er die Zellen zur Explosion bringt. Ja in einzelnen Meeresteilen soll die Wirkung des Polypengifts so stark sein, daß der Badende, der sich an solchen Tieren vergreift, gelähmt wird und so unter Umständen ertrinkt.
69. Sperr-Vorrichtungen am Tierkörper
Quelle: Dr. Richard Hesse: »Der Tierkörper als selbständiger Organismus«, erster Band des Werks: »Tierbau und Tierleben in ihrem Zusammenhang betrachtet« von Dr. Richard Hesse und Dr. Franz Doflein.
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