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Das Buch der Gleichnisse

Das Buch der Gleichnisse

Titel: Das Buch der Gleichnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Olov Enquist
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Ritzte sie ein, sozusagen. Kritzelte Wörter, die schwer deutbar waren, gleichsam Poesiewörter, von denen es hieß, sie seien schwer deutbar, wenn die Stockholmpoeten ihr Gebrabbel zu Papier gebracht hatten.
    In gewisser Weise muss sie als die erste Poetin der Familie betrachtet werden. Die Trauer hatte ihre Gedichte geschaffen, das war klar.
    Nervöser machte es einen ja, wenn man sich erinnerte, dass ein Onkel Ansgar, jetzt wohnhaft in Fahlmarksforsen, für eine kürzere Periode verrückt geworden war.
    Er hatte angefangen zu brüllen und war zwangsweise inne Sommerwohnung eingeschlossen und später nach Umedalen innet Irrenhaus überführt worden, wo er sechs Monate verbrachte. War aber danach zurückgekommen und eine kürzere Periode still und fromm gewesen und hatte für sich selbst in der kleinen Kammer Rosenius’ Betrachtungen gelesen, unablässig! Gleichsam die Frömmigkeit wie die Schaffelldecke über sich gezogen! Hatte sich aber danach erholt und war wieder fröhlich geworden und hatte später – da war er dreiundzwanzig – allen gezeigt, was er selbst als Unternehmergeist bezeichnete, war aber aufs Ganze gesehen nettig und allgemein beliebt gewesen, was alle bezeugten.
    Also eine Dichternatur.
    Doch hatte die Mutter vor ihrem unschuldigen Kind, also ihm selbst, der jetzt 76 Jahre alt ist!, das Folgende bezeugt.
    Dies ist das Gleichnis von dem der Mutter eingebrannten Fluch !
    Im Frühjahr 1934, als sie schwanger war mit dem Jungen Per Ola und gleichzeitig diese Sache mit dem Onkel geschah, und dieser in der kleinen Kammer der Sommerwohnung eingeschlossen, also noch nicht innet Irrenhaus in Umedalen überführt war; in dieser vorbereitenden Zeit hatte man der Mutter Maja geraten, diesen sehr traurigen und verwirrten Bruder ihres Mannes nicht zu besuchen.
    Weil er verrückt geworden war.
    Und dass sich dies in das Kind in ihrem Bauch oder eher in ihrer Gebärmutter einbrennen könnte, so dass das unschuldige Kind auch auf irgendeine Weise verrückt würde, vielleicht Dichter von Gebrabbel. Es würde sich gleichsam in das Ungeborene einbrennen. Wie ein Brandeisen in ein Tier, hatte sie dem kleinen Jungen erklärt, der sich fast wegduckte, weil das Bild so scharf war. Aber dann, als er erwachsen geworden war, hatte er das Bild oft und ganz unverhohlen als ein Zeichen für die Liebe benutzt! Eingebrannt wie ein Brandzeichen in ein Tier! Also nicht als Zeichen dafür, dass jemand verrückt wird. Sondern besessen von der Liebe.
    Man wundert sich.
    Deshalb hatte sie den Eingeschlossenen nicht besucht. Der Abstand zu diesem, hatte sie im hohen Alter gestanden, also der Luftlinienabstand zu dem, der verrückt war, hatte kaum zwei Kilometer betragen, quer durch den Wald; es war meistens ungespurt, aber schon im Mai war das Monark-Rad mit Ballonreifen gut zu gebrauchen. Es hatte also kein Risiko bestanden.
    Aber! war sie nicht bei der Abfahrt dieses Ansgar mit dem Chevrolet zugegen gewesen? Er hatte sich friedlich auf die Rückbank gesetzt und höchstens mit einem milden Lächeln ahnen lassen, dass er die Schwägerin Maja, die unten am Milchpodest gestanden hatte , erkannte.
    Aber dann hatte sie ihn ja gesehen! Und da war es vielleicht dem Ungeborenen eingebrannt worden! Verdammnis!
    Der Glaube war die Form von Verwirrung, die die Verdammten, die es nach der Liebe dürstete, oder nach dem Frauenkörper, retten sollte. Es war schwer, die Dinge dazu zu bringen, zusammenzuhängen.
    Er wusste seit langem, dass er verloren war. Das erschreckendste Zeichen war die zerknirschte Großkusine aus Istermyrliden.
    *
    Er hatte keine Freude mehr an seinem Mangel an Todesangst. Oder mit anderen Worten: Er hatte keine Angst zu sterben, fragte sich jedoch, was es war, gelebt zu haben, und warum!, was das betrifft.
    Seit dem 8. Februar 1990, als er zum letzten Mal geschnapst hatte , dies war das Wort, das die Mutter immer als Warnungsruf hervorgepresst hatte, jemand in Långviken schnapste, hatte sie erfahren; seit jenem Tag, an dem er aus dem Schnapsen erwacht war, wie ein Embryo in einem Glas, eingelegt in Alkohol, aber aufwärts krabbelnd zur Kante des Gefäßes, langsam, tastend!, als er also im Irrenhaus Kongsdal erwacht war und in den Nächten angefangen hatte, über Nemo, den Wohltäter in der Mitte des Vulkans, zu schreiben – seit damals hatte er jeden Tag, den er lebte, als ein Geschenk betrachtet.
    Die Glaubensverwirrung war nicht länger nötig.
    Er konnte zum Beispiel hinterher sagen, Jetzt habe ich vom Erlöser,

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