Das Buch der Illusionen
gepolsterte Klappsessel -ungefähr acht bis zehn pro Reihe - der Fußboden leicht abwärts geneigt. Die Leinwand, ohne Bühne oder Vorhang davor, war direkt an der Wand befestigt, ein undurchsichtiges weißes Rechteck aus Plastik mit winzigen Perforationen, das einen matten Glanz ausstrahlte. In der Vorführkabine, die etwas aus der hinteren Wand hervorragte, war Licht; und als ich mich danach umdrehte, fiel mir als Erstes auf, dass dort zwei Projektoren waren - und dass in jedem davon ein Film eingelegt war.
Von einigen Daten und Zahlen abgesehen, erzählte Alma mir nicht viel über den Film. Das Innenleben des Martin Frost sei der vierte Film, den Hector auf der Ranch gedreht habe, sagte sie; nach Abschluss der Dreharbeiten habe er weitere fünf Monate daran gesessen, ehe er am 12. August die Endfassung bei einer Privatvorführung vorgestellt habe. Der Film habe eine Spieldauer von einundvierzig Minuten. Wie alle Filme Hectors sei Martin Frost in Schwarz-weiß gedreht, unterscheide sich aber dadurch ein wenig von den anderen, dass man ihn als Komödie bezeichnen könne (beziehungsweise als Film mit komischen Elementen); er sei also das einzige seiner späteren Werke, das in einem gewissen Zusammenhang mit den Slapstickfilmen der zwanziger Jahre stehe. Sie habe ihn wegen seiner Länge ausgewählt, sagte sie, jedoch bedeute das nicht, dass er kein guter Ausgangspunkt sei. In diesem Film habe ihre Mutter ihre erste Rolle für Hector gespielt, und wenn es auch nicht gerade ihr ehrgeizigstes gemeinsames Projekt gewesen sei, sei es immerhin wohl das bezauberndste. Alma wandte kurz den Blick ab. Sie holte einmal tief Luft, dann drehte sie sich wieder zu mir um und fügte hinzu: Faye war damals so lebendig, so stark. Ich kann nie genug von ihr bekommen.
Ich wartete darauf, dass sie noch mehr erzählte, aber bei dieser einen Bemerkung blieb es; es war der einzige Satz, der so etwas wie eine subjektive Meinung zum Ausdruck brachte. Nach kurzem Schweigen klappte sie den Picknickkorb auf und nahm ein Notizbuch und einen Kugelschreiber heraus - Letzterer zum Schreiben im Dunkeln mit einer winzigen Lichtquelle ausgestattet. Falls du dir was notieren willst, sagte sie. Als ich die Sachen entgegennahm, beugte sie sich vor und gab mir einen Kuss auf die Wange -ein Küsschen, wie ein Schulmädchen -, dann drehte sie sich um und ging zur Tür. Zwanzig Sekunden später vernahm ich ein Klopfen. Ich blickte auf, und da war sie wieder, hinter der Glasscheibe der Vorführkabine, und winkte mir zu. Ich winkte zurück - warf ihr vielleicht sogar eine Kusshand zu -, und als ich es mir auf dem mittleren Sitz in der ersten Reihe bequem machte, ließ Alma das Licht ausgehen. Sie kam erst wieder herunter, als der Film vorbei war.
Ich brauchte etwas Zeit, mich zu orientieren, mich in dem Film zurechtzufinden. Die Handlung war mit so trockenem Realismus gefilmt, mit so ausschließlicher Konzentration auf die Einzelheiten des Alltagslebens, dass mir die Magie der Geschichte zunächst völlig entging. Der Film begann wie jede andere Liebeskomödie, und in den ersten zwölf oder fünfzehn Minuten hielt Hector sich exakt an die abgedroschenen Konventionen dieses Genres: die zufällige Begegnung von Mann und Frau, das Missverständnis, das die beiden auseinander bringt, die plötzliche Wendung und die Explosion des Verlangens, der jähe Liebestaumel, das Auftreten von Schwierigkeiten, das Ringen mit Zweifeln, die Überwindung der Zweifel - was alles (so glaubte ich jedenfalls) auf ein triumphales Happy End zusteuerte. Aber etwa nach dem ersten Drittel wurde mir klar, dass ich mich geirrt hatte. Ungeachtet aller Äußerlichkeiten spielte der Film nicht in Tierra del Sue no oder auf dem Gelände der Blue Stone Ranch. Vielmehr spielte er im Kopf eines Mannes - und die Frau, die in diesen Kopf hineingeraten war, war nicht real. Sie war ein Geist, eine Phantasiegestalt des Mannes, eine flüchtige Erscheinung, die seine Muse werden sollte.
Wäre der Film irgendwo anders gedreht worden, wäre ich vielleicht nicht so begriffsstutzig gewesen. Die Unmittelbarkeit der Landschaft verwirrte mich, und in den ersten Minuten musste ich gegen den Eindruck ankämpfen, dass ich es hier mit einem gut gemachten, technisch anspruchsvollen Amateurfilm zu tun hatte. Das Haus in dem Film war Hectors und Friedas Haus; der Garten war ihr Garten; die Straße war ihre Straße. Sogar Hectors Bäume waren da -vielleicht jünger und dürrer als heute, aber doch dieselben Bäume,
Weitere Kostenlose Bücher