Das Buch der Illusionen
Eindruck, aber kaum senkt er sein Gewicht darauf, zerbricht er in ein Dutzend Stücke. Martin stürzt zu Boden.
Diese komische Wendung kommt völlig unerwartet. Claire bricht in lautes Gelächter aus, aber Martin ist keineswegs amüsiert. Breitbeinig auf dem Hintern hockend, kocht er vor Wut und verletztem Stolz, und je länger Claire ihn auslacht (sie kann nicht anders, es ist einfach zu komisch), desto lächerlicher sieht er aus. Ohne ein Wort zu sagen, stemmt er sich langsam hoch, tritt die Stuhltrümmer beiseite und nimmt sich einen anderen Stuhl. Diesmal setzt er sich vorsichtig hin, und als er endlich die Gewissheit hat, dass der Stuhl die nötige Stabilität besitzt, wendet er seine Aufmerksamkeit dem Essen zu. Sieht gut aus, sagt er in einem verzweifelten Versuch, seine Würde zu bewahren, seine Verlegenheit zu unterdrücken.
Claire scheint sich über seine Bemerkung unbändig zu freuen. Mit strahlendem Lächeln beugt sie sich zu ihm vor und fragt: Wie kommst du mit deiner Geschichte voran, Martin?
Unterdessen hat Martin mit der linken Hand ein Zitronenviertel genommen, um es über seinem Spargel auszupressen. Statt sofort auf Claires Frage zu antworten, drückt er die Zitrone mit Daumen und Zeigefinger - und der Saft spritzt ihm ins Auge. Martin schreit auf. Wieder bricht Claire in Gelächter aus, und wieder ist unser mürrischer Held kein bisschen amüsiert. Er taucht seine Serviette in sein Wasserglas und betupft sich das Auge, um das Brennen loszuwerden. Er wirkt deprimiert, zutiefst gedemütigt von diesem neuen Beweis seiner Ungeschicklichkeit. Als er schließlich die Serviette weglegt, wiederholt Claire die Frage.
Also, Martin, sagt sie, wie kommst du mit deiner Geschichte voran?
Martin hält es kaum noch aus. Er will ihre Frage nicht beantworten, sondern sieht ihr in die Augen und fragt: Wer bist du, Claire? Was machst du hier?
Claire lächelt ihn unerschüttert an. Nein, sagt sie, erst musst du meine Frage beantworten. Wie kommst du mit deiner Geschichte voran?
Martin sieht aus, als platze ihm gleich der Kragen. Wütend über ihre ausweichende Reaktion, starrt er sie nur schweigend an.
Bitte, Martin, sagt Claire. Es ist sehr wichtig.
Mühsam seinen Zorn beherrschend, brummt Martin sarkastisch - die Worte sind nicht direkt an Claire gerichtet; er denkt nur laut, spricht mit sich selbst: Willst du das wirklich wissen?
Ja, ich will es wirklich wissen.
Na schön... na schön, ich sag dir, wie ich vorankomme. Es... (er überlegt kurz)... es (denkt weiter nach)... Eigentlich geht es ganz gut voran.
Ganz gut... oder sehr gut?
Hm... (überlegt)... sehr gut. Ich würde sagen, es geht sehr gut voran.
Siehst du?
Was soll ich sehen?
Ach, Martin. Das ist doch klar.
Nein, Claire, ist es nicht. Ich sehe gar nichts. Wenn du die Wahrheit wissen willst, ich verstehe überhaupt nichts mehr.
Du Ärmster. Du solltest nicht so streng mit dir sein.
Martin lächelt sie lahm an. Sie sind in eine Art Sackgasse geraten, fürs Erste ist nichts mehr zu sagen. Claire macht sich über ihren Teller her. Sie isst mit offensichtlichem Vergnügen, genießt ihre Kreation mit zögernden kleinen Bissen. Hmm, sagt sie. Nicht schlecht. Und wie schmeckt es dir, Martin?
Martin hebt die Gabel, um zu probieren, doch gerade als er sich das Essen in den Mund schieben will, sieht er zu Claire hinüber; ihr leises, wonniges Stöhnen lenkt ihn ab, er vergisst für einen Augenblick, was er gerade tun will, und lässt die Hand um ein paar Grad sinken. Die Gabel nähert sich weiter seinem Mund, und ein dünnes Rinnsal Salatdressing tröpfelt herunter und landet auf seinem Hemd. Martin bekommt davon zunächst nichts mit, doch als er den Mund öffnet und sein Blick auf das Spargelstück vor seiner Nase fällt, bemerkt er, was sich da abspielt. Er fährt zurück und lässt die Gabel fallen. Herrgott!, sagt er. Schon wieder!
Die Kamera schneidet auf Claire (die zum dritten Mal laut auflacht) und fährt auf sie zu. Die Nahaufnahme ähnelt der am Ende der Schlafzimmerszene zu Beginn des Films, doch während Claires Miene, als sie Martin aus dem Zimmer gehen sah, ganz unbewegt war, ist sie jetzt lebhaft, geradezu entzückt, und scheint ein schier überirdisches Vergnügen auszudrücken. Sie war damals so lebendig, hatte Alma gesagt, so stark. Keine andere Szene des Films gibt den Eindruck von Fülle und Leben besser wieder als diese. Für einige Sekunden ist Claire unzerstörbar geworden, die Verkörperung reiner menschlicher
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