Das Buch der Illusionen
was passiert ist. Dann geht Martin wieder zu ihr, und nach zehn weiteren Bildern hat auch er es endlich begriffen.
Claire krümmt sich in heftigen Schmerzen auf dem Bett, krampfhaft bemüht, nicht um Hilfe zu rufen.
Martin gelangt ans Ende der Seite, zieht das Blatt aus der Maschine und legt das nächste ein. Er tippt weiter.
Wir sehen den Kamin. Das Feuer ist fast ausgegangen.
Nahaufnahme von Martins Fingern beim Tippen.
Nahaufnahme von Claires Gesicht. Sie ist schwächer als vorhin, windet sich nicht mehr.
Nahaufnahme von Martins Gesicht. Am Schreibtisch, tippend.
Nahaufnahme des Kamins. Nur noch glühende Asche.
Halbtotale von Martin. Er tippt das letzte Wort seiner Geschichte. Kurze Pause. Dann zieht er das Blatt aus der Maschine.
Halbtotale von Claire. Sie bebt leicht auf- und scheint zu sterben.
Martin steht am Schreibtisch und legt das Manuskript zusammen. Er verlässt das Arbeitszimmer, die fertige Geschichte in der Hand.
Martin tritt lächelnd in Claires Zimmer. Er sieht nach dem Bett, und gleich darauf ist das Lächeln verschwunden.
Halbtotale von Claire. Martin setzt sich neben sie und legt ihr die Hand auf die Stirn. Keine Reaktion. Er presst ihr sein Ohr auf die Brust - immer noch keine Reaktion. In jäher Panik wirft er das Manuskript beiseite; verzweifelt bemüht, sie aufzuwärmen, beginnt er mit beiden Händen ihren Körper zu massieren. Sie ist ganz schlaff, ihre Haut kalt; sie atmet nicht mehr.
Der Kamin. Die erlöschende Glut. Kein Brennholz mehr da.
Martin springt vom Bett auf. Er schnappt sich das Manuskript und stürzt damit zum Kamin. Er wirkt wie ein Besessener, außer sich vor Angst. Es gibt nur noch eins zu tun - und es muss getan werden. Jetzt. Ohne zu zögern zerknüllt Martin die erste Seite seiner Geschichte und wirft sie in den Kamin.
Nahaufnahme des Kamins. Das Papierknäuel landet in der Glut und geht in Flammen auf. Wir hören, wie Martin die nächste Seite zerknüllt. Gleich darauf landet das zweite Knäuel in der Glut und flammt auf.
Schnitt zu einer Nahaufnahme von Claires Gesicht. Ihre Augenlider zucken.
Halbtotale von Martin, der vor dem Kamin kauert. Er packt das nächste Blatt, zerknüllt es und wirft es hin ein. Wieder schlagen die Flammen hoch.
Claire macht die Augen auf.
In fliegender Hast knüllt Martin weitere Blätter zusammen und wirft sie in den Kamin. Eins nach dem an deren fangen sie Feuer, eins entzündet sich am anderen. Die Flammen schlagen immer höher.
Claire richtet sich auf. Blinzelt verwirrt, gähnt, reckt die Arme; von Krankheit keine Spur mehr. Sie ist aus dem Reich der Toten zurückgekehrt.
Allmählich kommt sie zu sich, sieht im Zimmer umher, und als sie Martin, der immer noch wie rasend sein Manuskript zerknüllt und ins Feuer wirft, vor dem Kamin erblickt, macht sie ein bestürztes Gesicht. Was tust du da?, fragt sie. Mein Gott, Martin, was tust du da?
Ich kaufe dich zurück, sagt er. Siebenunddreißig Seiten für dein Leben, Claire. Das beste Geschäft, das ich jemals gemacht habe.
Aber das geht nicht. Das ist nicht erlaubt.
Mag sein. Aber ich tue es trotzdem, siehst du? Ich habe die Regeln geändert.
Claire ist völlig außer sich, kurz davor, in Tränen auszubrechen. Ach, Martin, sagt sie. Du weißt nicht, was du da getan hast.
Ohne sich von Claires Einwänden entmutigen zu lassen, wirft Martin ein Blatt nach dem anderen in die Flammen. Als er zum letzten kommt, dreht er sich triumphierend zu ihr um. Siehst du, Claire?, sagt er. Das sind doch nur Worte. Siebenunddreißig Seiten - alles nur Worte.
Er setzt sich aufs Bett, und Claire umschlingt ihn mit den Armen. Eine überraschend heftige und leidenschaftliche Geste, und zum ersten Mal seit Beginn des Films macht Claire einen ängstlichen Eindruck. Sie will ihn, und sie will ihn nicht. Sie ist begeistert, sie ist entsetzt. Sie ist immer die Starke gewesen, die Mutige und Zuversichtliche, doch jetzt, nachdem Martin das Rätsel dieser Verzauberung gelöst hat, wirkt sie verloren. Was hast du vor?, fragt sie. Sag mir, Martin, was um Gottes willen sollen wir tun?
Bevor Martin antworten kann, wechselt die Szene nach draußen. Wir sehen das Haus aus ungefähr fünfzig Metern Entfernung, es steht mitten im Nichts. Die Kamera schwenkt erst nach oben, dann nach rechts und kommt auf den Ästen einer großen Pappel zur Ruhe. Alles ist still. Kein Wind, kein Rauschen in den Zweigen, kein Blättchen bewegt sich. Zehn Sekunden vergehen, fünfzehn Sekunden, dann wird die Leinwand völlig unvermittelt
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