Das Buch der Illusionen
und das weiche Innere ihrer Schenkel), möchten wir tatsächlich glauben, dass wir es vergessen haben. Auch hier wird keine Musik gespielt. Die einzigen Geräusche, die wir hören, sind Atemzüge, das Rascheln von Laken und Decken, das Knarren der Bettfedern, das Rauschen des Windes in den Bäumen, draußen in der unsichtbaren Dunkelheit.
Am nächsten Morgen setzt Martin seinen Bericht fort. Zu einer Montage, die andeutet, dass unterdessen fünf oder sechs Tage vergehen, erzählt er uns vom Fortgang seiner Geschichte und seiner wachsenden Liebe zu Claire. Wir sehen ihn allein an seiner Schreibmaschine, sehen Claire allein mit ihren Büchern, sehen die beiden zusammen an verschiedenen Stellen im Haus. Sie machen Essen in der Küche, küssen sich auf dem Sofa im Wohnzimmer, gehen im Garten spazieren. Einmal hockt sich Martin auf den Fußboden neben seinem Schreibtisch, taucht einen Pinsel in eine Farbdose und schreibt die Buchstaben H-U-M-E auf ein weißes T-Shirt. Später sitzt Claire in diesem T-Shirt im Schneidersitz auf dem Bett und liest ein Buch des nächsten Philosophen auf ihrer Liste, David Hume. Zwischen diesen kleinen Vignetten sind Nahaufnahmen von allerlei Gegenständen verteilt, abstrakte Details, die in keinem erkennbaren Zusammenhang zu Martins Ausführungen stehen: ein Topf mit kochendem Wasser, eine Wolke Zigarettenrauch, weiße Vorhänge, die in der Laibung eines halb geöffneten Fensters flattern. Dampf, Rauch, Wind - ein Katalog formloser, körperloser Dinge. Martin schildert eine Idylle, einen Moment anhaltenden und vollkommenen Glücks, aber die traumartigen Bilder, die uns die Kamera dazu auf der Leinwand zeigt, sagen uns, dass wir der Oberfläche der Dinge nicht trauen dürfen, dass wir am Zeugnis unserer Augen zweifeln sollen.
Einmal sehen wir Martin und Claire beim Mittagessen in der Küche. Martin erzählt ihr gerade eine Geschichte (Und dann habe ich zu ihm gesagt: Wenn du mir nicht glaubst, beweise ich es dir. Und dann habe ich in die Tasche gegriffen und -), als das Telefon klingelt. Martin steht auf, um abzunehmen, und sobald er aus dem Bild verschwindet, schwenkt die Kamera herum und richtet sich auf Claire. Ihr Gesichtsausdruck wechselt von geselliger Heiterkeit zu Bestürzung, vielleicht sogar Angst. Es ist Hector, der aus Cuernavaca anruft; wir können zwar nicht hören, was er sagt, aber aus Martins Reaktionen ist deutlich genug zu schließen, worum es geht. Offenbar nähert sich der Wüste eine Kaltfront.
Der Heizkessel ist nicht in Ordnung, und wenn die Temperatur wirklich so sehr fallen sollte, wie man erwartet, muss Martin den Wartungsdienst kommen lassen. Falls etwas schief geht, soll er Jim anrufen, Jim Fortunato von der Klempnerei Fortunato.
Es geht bloß um ein banales Alltagsproblem, aber je länger Claire sich das anhört, desto unruhiger wird sie. Als Martin beiläufig ihren Namen erwähnt (Ich habe Claire gerade von der Wette erzählt, die wir bei meinem letzten Besuch hier abgeschlossen haben), steht Claire auf und rennt aus dem Zimmer. Martin ist überrascht von ihrem plötzlichen Verschwinden, aber diese Überraschung ist nichts im Vergleich zu der, die er eine Sekunde später erlebt. Was soll das heißen: Wer ist Claire?, sagt er zu Hector. Claire Martin, Friedas Nichte. Wir brauchen Hectors Antwort nicht zu hören, um zu erfahren, was er sagt. Ein Blick auf Martins Gesicht, und wir begreifen, dass Hector ihm geantwortet hat, er habe noch nie von ihr gehört, er wisse nichts von einer Claire.
Unterdessen ist Claire bereits draußen und läuft vom Haus weg. In einer Reihe schneller, scharfer Schnitte sehen wir Martin aus der Haustür stürzen und ihr nachsetzen. Er ruft ihr hinterher, aber Claire läuft weiter, und erst nach weiteren zehn Sekunden hat er sie eingeholt. Er streckt die Hand aus, packt sie von hinten am Ellbogen, schleudert sie herum und zwingt sie, stehen zu bleiben. Beide sind außer Atem. Schwer keuchend, nach Luft ringend, bringt keiner von ihnen ein Wort heraus.
Schließlich sagt Martin: Was soll das, Claire? Erklär mir, was das soll. Als Claire nicht antwortet, beugt er sich vor und schreit ihr ins Gesicht: Du musst es mir sagen!
Nicht so laut, sagt Claire mit ruhiger Stimme. Du brauchst nicht so zu schreien, Martin.
Ich habe gerade erfahren, dass Frieda einen Bruder hat, sagt Martin. Der hat zwei Kinder, und das sind zufällig beides Jungen. Sie hat also zwei Neffen, Claire, aber keine Nichte.
Mir ist nichts Besseres eingefallen, sagt
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