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Das Buch der Illusionen

Das Buch der Illusionen

Titel: Das Buch der Illusionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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die Struktur seines neuen Romans, und Martin lehnt sich lächelnd zurück und lauscht ihren ebenso prägnanten wie schmeichelhaften Ausführungen. Es ist das erste Mal seit der Eröffnungsszene des Films, dass der nachdenkliche, immer ernste Martin Frost sich locker gibt. Mit anderen Worten, sagt er, Miss Martin ist mit dem Buch einverstanden. O ja, sagt Claire, absolut. Miss Martin ist mit Martin einverstanden. Dieses Spiel mit ihren Namen bringt sie auf den Scherz mit Berk-ley/Bark-ley zurück, und Martin wiederholt die Bitte, sie möge ihm das Wort auf ihrem Sweatshirt erklären. Welches von beiden ist gemeint?, sagt er. Der Mann oder das College? Beides, antwortet Claire. Das können Sie halten, wie Sie wollen.
    Bei diesen Worten blitzen ihre Augen schelmisch auf. Irgendetwas ist ihr in den Sinn gekommen - ein Gedanke, eine Idee, eine plötzliche Eingebung. Oder aber, sagt sie, indem sie ihr Glas auf den Tisch stellt und sich von der Couch erhebt, es hat überhaupt nichts zu bedeuten.
    Um dies zu demonstrieren, zieht sie sich das Hemd über den Kopf und wirft es ruhig zu Boden. Darunter trägt sie nur einen schwarzen Spitzen-BH - schwerlich die Art von Kleidung, die man bei einer so ernsten Studentin der Ideengeschichte erwarten würde. Aber auch dies ist natürlich eine Idee, und nachdem sie diese jetzt mit einer so kühnen und entschiedenen Geste in die Tat umgesetzt hat, kann Martin nur mit offenem Mund staunen. Nicht in seinen wildesten Träumen hätte er sich ausmalen können, dass die Dinge sich so schnell entwickeln würden.
    Nun, sagt er schließlich, auch auf diese Weise kann man die Verwirrung beseitigen.
    Einfache Logik, erwidert Claire. Ein philosophischer Beweis.
    Und doch, fährt Martin nach einer weiteren langen Pause fort, schafft man, indem man die eine Art von Verwirrung beseitigt, nur eine andere.
    Ach, Martin, sagt Claire. Seien Sie nicht verwirrt. Ich versuche so deutlich zu sein, wie ich kann.
    Es gibt eine schmale Grenze zwischen Charme und Aggressivität - ob man sich jemandem an den Hals wirft oder der Natur ihren Lauf lässt. In dieser Szene, die mit den eben gesprochenen Worten endet (Ich versuche so deutlich zu sein, wie ich kann), gelingt es Claire, beides zugleich auszudrücken. Sie verführt Martin, tut dies aber auf so kluge, unbeschwerte Weise, dass es uns gar nicht in den Sinn kommt, ihre Motive infrage zu stellen. Sie will ihn, weil sie ihn will. Wir haben es hier mit der Tautologie des Begehrens zu tun, und statt weiter über die unendlichen Nuancen eines solchen Vorhabens zu debattieren, kommt sie sofort zur Sache. Das Ausziehen des Sweatshirts ist als Erklärung ihrer Absichten keineswegs vulgär. Es ist ein Augenblick von souveräner Größe, und von diesem Augenblick an ist Martin klar, dass er seinen Meister gefunden hat.
    Sie landen im Bett. Es ist dasselbe Bett, in dem sie sich am Morgen kennengelernt haben, aber diesmal haben sie es nicht eilig, voneinander loszukommen, jede Berührung zu meiden und in ihre Kleider zu steigen. Sie stürzen, im Gehen einander umschlungen haltend, zur Tür herein, und als sie sich in einem Knäuel aus Armen, Beinen und Mündern aufs Bett werfen, bleibt uns kein Zweifel mehr, wohin all dies Tasten und Stöhnen führen wird. Nach den 1946 geltenden Konventionen des Kinos hätte die Szene hier abbrechen müssen. Sobald Mann und Frau sich zu küssen an-fingen, musste der Regisseur einen Schnitt machen: weg vom Schlafzimmer, stattdessen aufflatternde Spatzen, tosende Brandung oder ein Zug, der in einen Tunnel einfährt - irgendeins der stereotypen Symbole für körperliche Leidenschaft, die Erfüllung der Fleischeslust -, aber New Mexico war nicht Hollywood, und Hector konnte die Kamera so lange weiterlaufen lassen, wie es ihm gefiel. Kleider werden abgelegt, nackte Haut ist zu sehen, und Martin und Claire beginnen ihr Liebesspiel. Alma hatte recht, mich auf die erotischen Momente in Hectors Filmen hinzuweisen, falsch war nur ihre Annahme, dass sie mich schockieren könnten. Ich fand die Szene ziemlich verhalten, geradezu schmerzlich in der Banalität ihrer Absicht. Die Beleuchtung ist schwach, die Körper sind in Schatten getaucht, und das Ganze dauert nur etwa neunzig bis hundert Sekunden. Hector will uns nicht aufreizen oder erregen, vielmehr sollen wir vergessen, dass wir einen Film sehen, und wenn Martin anfängt, mit dem Mund über Claires Körper zu streichen (über ihre Brüste und die Wölbung der rechten Hüfte, über ihr Schamhaar

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