Das Buch der Illusionen
eine Woge aus Helligkeit. Ich fuhr herum, riss schützend eine Hand über die Augen - und dort in der offenen Tür stand Alma, nahezu unsichtbar, ein gespenstischer Umriss, die Haarspitzen von Licht durchschossen, ein Wesen in Flammen.
Dann schloss sie die Tür, und ich konnte ihr Gesicht erkennen, ihr in die Augen sehen, als sie durchs Zimmer zum Sofa auf mich zukam. Ich weiß nicht, was ich in dem Moment von ihr erwartet habe. Tränen vielleicht, oder Wut, irgendeinen heftigen Gefühlsausbruch, aber Alma wirkte bemerkenswert ruhig, weniger aufgewühlt als vielmehr erschöpft, entkräftet. Sie kam von rechts um das Sofa herum, offenbar ohne daran zu denken, dass sie mir dabei die linke Gesichtshälfte mit dem Muttermal zuwandte; mir fiel auf, es war das erste Mal, dass sie das tat. Ich war mir jedoch nicht sicher, ob ich das als Durchbruch oder als mangelnde Aufmerksamkeit, als Symptom ihrer Erschöpfung deuten sollte. Sie setzte sich wortlos neben mich und legte mir ihren Kopf an die Schulter. Ihre Hände waren schmutzig, ihr T-Shirt mit Ruß beschmiert. Ich umschlang sie mit beiden Armen und hielt sie eine Weile, wollte sie nicht gleich mit Fragen bedrängen oder gegen ihren Willen zum Reden zwingen. Schließlich fragte ich sie, ob alles mit ihr in Ordnung sei, und als sie antwortete: Ja, mir geht's gut, begriff ich, dass sie sich nicht in Einzelheiten ergehen wollte. Sie bitte um Entschuldigung, dass es so lange gedauert habe, sagte sie, doch nachdem sie mir mit wenigen Worten die Verzögerung erklärt hatte (auf diese Weise erfuhr ich von den Ölfässern, den Handkarren und so weiter), kam dieses Thema für den Rest des Abends kaum noch zur Sprache. Als es vorbei war, sagte sie, sei sie mit Frieda ins Haupthaus gegangen. Dort hätten sie besprochen, was morgen zu tun sei, und dann habe sie Frieda mit einer Schlaftablette zu Bett geschickt. Eigentlich wäre sie dann direkt zu mir gekommen, aber das Telefon hier im Haus sei kaputt (manchmal funktioniere es, manchmal nicht), und statt es von hier aus zu versuchen, habe sie das Telefon im Haupthaus benutzt, um mir ein Ticket für den ersten Flug morgen früh nach Boston zu buchen, um 8 Uhr 47. Die Fahrt zum Flughafen Albuquerque dauere zweieinhalb Stunden, und da Frieda so früh nicht aufstehen könne, um uns rechtzeitig dorthin zu bringen, sei als Lösung nur noch übrig geblieben, mir einen Wagen zu bestellen. Sie habe mich selbst hinfahren und mich persönlich verabschieden wollen, aber sie und Frieda müssten um elf Uhr in der Leichenhalle sein, und zwei Fahrten nach Albuquerque seien bis elf Uhr einfach nicht zu schaffen. Das sei rechnerisch ausgeschlossen. Selbst wenn sie schon um fünf mit mir losfahren würde, könne sie nicht unter siebeneinhalb Stunden hin- und her- und wieder hinfahren. Wie kann ich schaffen, was nicht zu schaffen ist?, sagte sie. Das war keine rhetorische Frage. Es war eine klare Aussage, eine traurige Feststellung. Wie zum Teufel kann ich schaffen, was nicht zu schaffen ist? Und dann drückte sie mir das Gesicht auf die Brust und brach in Tränen aus.
Ich brachte sie in die Badewanne, und in der nächsten halben Stunde saß ich neben ihr auf dem Fußboden, wusch ihr den Rücken, die Arme, die Beine, die Brüste, das Gesicht und die Hände, die Haare. Es dauerte eine Weile, bis sie zu weinen aufhörte, aber nach und nach schien die Behandlung den gewünschten Effekt zu haben. Mach die Augen zu, sagte ich, beweg dich nicht, sag kein Wort, lös dich einfach im Wasser auf und lass dich treiben. Es beeindruckte mich, wie bereitwillig sie meinen Anweisungen folgte, wie wenig ihre Nacktheit sie verlegen machte. Es war das erste Mal, dass ich ihren Körper bei Licht sah, aber Alma benahm sich, als gehörte er mir schon, als seien wir beide bereits über das Stadium hinaus, in dem solche Dinge noch infrage stehen. Sie wurde ganz weich in meinen Armen, ergab sich der Wärme des Wassers, ergab sich bedingungslos der Vorstellung, dass ich es war, der sich um sie kümmerte. Sonst gab es niemanden. Seit sieben Jahren hatte sie allein in diesem Haus gelebt, und wir wussten beide, es war an der Zeit, dass sie weiterzog. Du kommst nach Vermont, sagte ich. Dort wohnst du bei mir, bis dein Buch fertig ist, und jeden einzelnen Tag werde ich dich baden. Ich arbeite an meinem Chateaubriand, du arbeitest an deiner Biographie, und wenn wir nicht arbeiten, treiben wir's im Bett, in jedem Winkel des Hauses. Wir treiben es drei Tage lang im Garten und in den
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