Das Buch der Schatten 1 - Verwandlung
musst du zu Hause sein?«, fragte sie. »Es könnte spät werden.« Es war kurz vor neun Uhr.
»Um eins«, sagte ich. »Aber wahrscheinlich schlafen meine Eltern dann schon und merken gar nicht, wenn ich ein bisschen später komme. Ich kann sie auch anrufen. « Bree muss nie zu Hause anrufen und sich bei ihrem Vater wegen irgendwas melden. Manchmal kamen die beiden mir eher vor wie eine WG als wie Vater und Tochter.
»Cool.« Bree tippte mit ihren braunen Fingernägeln aufs Lenkrad, bog ein wenig zu schnell ab und fuhr auf der Gallows Road in eines der älteren Wohnviertel von Widow’s Vale. Cals Viertel. Sie kannte den Weg schon.
Cals Zuhause war ein fantastisches riesiges Steinhaus. Die breite Vorderveranda stützte einen Balkon
und an den Säulen kletterte immergrüner Wein hinauf zum ersten Stock. Der üppige Garten vor dem Haus war sehr schön hergerichtet, wenn auch ziemlich wild. Ich dachte daran, wie mein Vater vor sich hin summte, wenn er im Herbst seine Rhododendren beschnitt, und mich überkam fast ein bisschen Wehmut.
Die breite Haustür aus Holz öffnete sich auf unser Klopfen hin und vor uns stand eine Frau in einem langen violetten Leinenkleid. Es war elegant und schlicht und hatte wahrscheinlich ein Vermögen gekostet.
»Willkommen, Mädchen«, sagte die Frau mit einem Lächeln. »Ich bin Cals Mutter, Selene Belltower.«
Ihre Stimme klang kräftig und melodiös und mich überkam ein kribbelndes Gefühl der Erwartung. Als ich näher trat, sah ich, dass Cal ihre Haar- und ihre Augenfarbe geerbt hatte. Sie hatte sich ihr dunkelbraunes Haar nachlässig aus dem Gesicht gestrichen. Große goldbraune Augen standen leicht schräg über hohen Wangenknochen. Ihr Mund war wohlgeformt, ihre Haut weich und glatt. Ich überlegte, ob sie früher wohl Model gewesen war.
»Lasst mich raten … du musst Bree sein«, sagte sie und schüttelte ihr die Hand. »Und du Morgan.« Ihre klaren Augen schauten in meine und ihr Blick schien bis zu meinem Hinterkopf durchzudringen. Ich blinzelte und rieb mir die Stirn. Ich fühlte mich plötzlich
ganz unwohl. Dann lächelte sie wieder, der Schmerz verflog und sie führte uns ins Haus. »Ich freue mich, dass Cal neue Freunde gefunden hat. Es war schwer für uns umzuziehen, aber meine Firma hat mir eine Beförderung angeboten und die konnte ich nicht ablehnen.«
Ich hätte sie gern gefragt, was sie arbeitete und was aus Cals Vater geworden war, aber so etwas konnte ich unmöglich fragen, ohne unhöflich zu sein.
»Cal ist in seinem Zimmer. Im zweiten Stock, die Treppe ganz rauf«, sagte Ms Belltower und wies auf die beeindruckende, mit Schnitzereien verzierte Holztreppe. »Ein paar andere sind schon da.«
»Danke«, sagten wir ein wenig befangen und stiegen die dunkle Holztreppe hinauf. Ein dicker blumenverzierter Läufer unter unseren Füßen dämpfte unsere Schritte.
»Sie findet es nicht seltsam, wenn ein Haufen Mädchen in das Schlafzimmer ihres Sohnes geht?«, flüsterte ich und dachte daran, wie meine Mutter zu Hause die Jungen aus Mary K.s Zimmer scheuchte.
Bree lächelte mich an, ihre Augen strahlten vor Aufregung. »Ich schätze, sie ist cool«, flüsterte sie. »Abgesehen davon sind wir ja zu mehreren.«
Cals Zimmer nahm, wie sich herausstellte, das ganze Dachgeschoss des Hauses ein. Überall waren kleine Fenster, einige viereckig, einige rund, manche klar,
andere aus Buntglas. Das Dach selbst war schräg und in der Mitte gut drei Meter hoch, an den Seiten kaum einen Meter. Der Boden war aus dunklem unpoliertem Holz, die Wände aus ungestrichenen Verschalungsbrettern. An einem kleinen Giebel stand ein antiker Schreibtisch mit Schulbüchern darauf.
Wir warfen unsere Jacken auf eine lange Holzbank und ich folgte Brees Beispiel und zog meine Schuhe aus.
An einer Wand war ein kleiner offener Kamin. Auf dem schlichten Kaminsims standen cremefarbene Kerzen verschiedener Größe, bestimmt dreißig Stück, und in dem großen Zimmer waren überall Stumpenkerzen verteilt, einige auf schwarzen schmiedeeisernen Kerzenständern, einige auf dem Fußboden, andere auf Glasbausteinen oder sogar auf Stapeln alter Bücher. Der Raum war nur mit Kerzen beleuchtet, und die flackernden Schatten, die auf sämtliche Wände geworfen wurden, waren hypnotisierend und wunderschön.
Mein Blick fiel auf Cals Bett, das in einer größeren Niesche stand. Ich stand da wie angewurzelt und konnte den Blick nicht davon wenden. Es war ein breites, niedriges Bett aus dunklem Holz, Mahagoni
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